Du kannst Russisch nicht verstehen, ohne Puschkin zu verstehen, und du kannst Puschkin nicht verstehen, wenn du nicht ein grundlegendes Bewusstsein über das Dutzend oder mehr Sprachen hast, die ihn beeinflusst haben. Wie viele Sprachen Puschkin genau konnte, werden wir später besprechen. Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 bis 1837) war bekannterweise an allem gleichzeitig interessiert und es war durch seinen vielfältigen Fundus an Sprachen, kulturellen Themen und schriftlichen Formaten, dass er die vereinfachte russische Sprache als Teil des literarischen Kanons festsetzte – und auch die gesprochene russische Sprache für immer beeinflusste.
Der begeisterte Sprachwissenschaftler: Wusstest du, wie viele Sprachen Puschkin konnte?
Vor Puschkin war russische Literatur voller steifer, hochgestochener Wörter, die aus dem gegenwärtigen Russischen verschwunden sind. Außerdem war Russisch nicht gerade eine sehr angesehene Sprache. Zur damaligen Zeit war Französisch die Sprache des Adels und der Bildung und viele französische Wörter haben auf diese Art ihren Weg in die russische Sprache gefunden.
Auch Puschkin wuchs in einer adligen Familie auf und erfuhr eine französische Bildung – tatsächlich waren seine ersten Gedichte auf Französisch. Auf der anderen Seite verbrachte er aber auch viel Zeit unter den einfachen Leuten, deren Sprache Russisch war. Eventuell studierte er Lateinisch und Griechisch am kaiserlichen Lyzeum in Zarskoje Selo (das heute übrigens seinen Namen trägt) und brachte sich selbst viele weitere Sprachen bei. Er lernte Deutsch, um Schiller und Goethe zu lesen, und übersetzte viele ihrer Texte aus dem Deutschen.
Beim Übersetzen behalf er sich zahlreicher Taktiken für die vielen Wörter, die er nicht komplett verstand. So schrieb er diese separat auf, umschrieb sie dank des vorgegebenen Kontextes oder verwendete eine ganz andere Sprache: Viele seiner russischen Übersetzungen sind voller französischer Wörter – ein Hinweis darauf, dass er auf sein Wissen in anderen Sprachen zurückfiel, um Lücken zu schließen.
Seine Neugierde brachte Puschkin dazu, bis zu 16 Sprachen zu lernen. Mehreren Online-Quellen zufolge konnte er Französisch, Altfranzösisch, Italienisch, Spanisch, Englisch, Deutsch, Altgriechisch, Lateinisch, Altrussisch, Kirchenslawisch, Serbisch, Polnisch, Ukrainisch, Hebräisch, Arabisch und Türkisch. Die Bibliothek in seiner Wohnung in Sankt Petersburg, die heute ein Museum ist, umfasst über 4500 Bücher in 14 Sprachen.
Genialer Puschkin oder Pfuschkin?
Witzigerweise war nicht jeder beeindruckt von Puschkins Sprachtalent. Vladimir Nabokov, der sich schließlich entschied, nicht in seiner Muttersprache, sondern auf Englisch zu schreiben, sagte, dass „als Puschkin in den 1820ern bis 1836 gelegentlich versucht hatte, sich selbst Englisch beizubringen, er es nie weiter als zur Anfängerseite schaffte“.
Nabokov deutete später an, dass Puschkin nur Französisch und Russisch meisterte. Der amerikanische Schriftsteller Edmund Wilson ist anderer Meinung und sagt, dass „Herr Nabokov scheinbar nicht zugeben möchte, dass Puschkins Sprachkompetenz beachtlich war“. Es gibt verschiedene Darstellungen, wie viele Sprachen Puschkin wirklich gesprochen hat. Der Konsens scheint zu sein, dass er in allen unterschiedlich flüssig war. Puschkin selbst schrieb dem Poeten und Übersetzer Nikolai Iwanowitsch Gneditsch, dass die „Ignoranz über die griechische Sprache mich davon abhält, damit anzufangen, die Analyse Ihrer Iliad abzuschließen“. Sein Zeitgenosse Ossip Iwanowitsch Senkowski schrieb, dass Puschkin Sprachen nur soweit lernte, wie es für das Verständnis von großen literarischen Werken nötig war. In anderen Worten: Er musste nicht jedes Wort verstehen, um Werke korrekter und geistreicher zu interpretieren als andere, die die Sprache komplett meisterten.
Der heißgeliebte Puschkin
Puschkin wird von vielen als der Vater der russischen Literatur angesehen. Als 1880 in Moskau das Puschkin-Denkmal errichtet wurde, sagte Fjodor Michailowitsch Dostojewski bekannterweise, dass ohne Puschkin die vielen großen Talente, die ihm folgten, nicht auf dieselbe Weise existiert hätten könnten – oder zumindest so erfolgreich gewesen wären.
Boris Leonidowitsch Pasternak beschrieb Puschkins Tetrameter als „Maßeinheit des russischen Lebens, ein Maßstab, als wenn er der gesamten russischen Existenz nachempfunden wäre“. Viele Themen, mit denen er arbeitete, wurden zu zentralen Inhalten, die wieder und wieder in der russischen Literatur auftauchen (so wie die Misere des rangtiefen Individuums, das Individuum im Konflikt mit der Gesellschaft oder die Wahl zwischen Lebensglück und Pflicht). Puschkin hat nicht einfach nur der russischen Umgangssprache zum Aufschwung verholfen. Er hat auch Wörter zur Sprache hinzugefügt. Viele Lehnwörter aus anderen Sprachen wurden durch seine Literatur eingeführt, und er könnte eine der meistzitierten literarischen Figuren in Russland sein. Viele russische Sprichwörter wurden direkt aus seinen Werken übernommen.
Die Frage, wie viele Sprachen Puschkin denn nun genau konnte, bleibt also ungeklärt. Kein Zweifel besteht aber daran, wie sehr sein Genie und seine Mehrsprachigkeit die russische Literatur und Sprache geprägt haben.