Jedes Sprachgenie ist illustriert von Chaim Garcia
Ein Arzt und Sprachgenie: L.L. Zamenhof
Der Arzt und Linguist sprach fließend Jiddisch, Russisch, Polnisch, Deutsch und Französisch und hat außerdem Latein, Griechisch, Hebräisch und Aramäisch gelernt. In seinem späteren Leben widmete sich das Sprachgenie auch der konstruierten Sprache Volapük. Was ihn als Polyglotten hervorhebt, ist jedoch nicht seine Meisterung von Sprachen, sondern, dass er eine erschaffen hat. Zamenhof ist der Erfinder von Esperanto, der erfolgreichsten konstruierten Sprache der Welt.
Zamenhof glaubte, dass Einwanderer benachteiligt waren, wenn sie die lokale Sprache lernen und mit Muttersprachlern konkurrieren mussten. Eine konstruierte Sprache sollte dagegen einen passenden neutralen Grund für die Kommunikation schaffen und die Voraussetzungen für alle Sprecher ausgleichen, egal ob diese nun geniale Sprachlernende sind oder ihre erste Fremdsprache lernen. Andere mögen mehr Sprachen als Zamenhof gemeistert haben, aber sein linguistischer Beitrag ist unvergleichlich!
Königin und Übersetzerin: Elisabeth I
Königin Elisabeth I ist unter Monarchen nicht nur für ihren eleganten Sinn für Mode berühmt (sie besaß angeblich mehr als 2000 Paar Handschuhe!), sondern auch für ihr sprachliches Talent. Sie meisterte in ihrem Leben Französisch, Flämisch, Italienisch, Spanisch, Englisch, Latein, Griechisch und Kornisch.
Was sie von anderen Monarchen und Linguisten wirklich hervorhebt, ist ihr Vermächtnis als Übersetzerin. Sie übersetzte Cicero, Seneca und Calvin ins Englische. Außerdem übersetzte sie im Jugendalter Katherine Parrs Prayers or Meditations – einen englischen, religiösen Text – ins Lateinische, Französische und Italienische – und übergab sie dann ihrem Vater als Neujahrsgeschenk. Ein wahrhaft königliches Sprachgenie!
Denker und Sprachgenie: Friedrich Engels
Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker ist am besten für seine Kritik der politischen Ökonomie bekannt. Zudem war er aber auch ein begabter Sprachenlerner, der mehrere Sprachen beherrschte: Russisch, Italienisch, Portugiesisch, irisches Gälisch, Spanisch, Polnisch, Französisch, Englisch, den mailändischen Dialekt, Gotisch, Altnordisch und Altsächsisch. Sprachgenie Engels lernte außerdem Arabisch und hat Persisch angeblich in nur drei Wochen erworben! Seine Freunde scherzten, dass er in 20 Sprachen stotterte, aber ihre Witze hielten ihn nicht ab. Und mit mehr als 12 Sprachen in der Tasche hat er eindeutig zuletzt gelacht!
Polyglott unserer Zeit: Alexander Argüelles
Wenn dich bisher die verstorbenen Sprachgenies noch nicht ganz so sehr inspirieren, wirst du dich freuen, dass es Menschen wie Alexander Argüelles gibt. Er ist ein Linguist, der ungefähr drei Dutzend Sprachen gemeistert hat, die meisten davon fließend spricht und noch ein paar mehr gelernt hat. Er fing nicht gerade vielversprechend damit an, Französisch in seiner Jugend aufzugeben, verfolgte dann aber in der Universität Deutsch und machte sich die Sprache vollkommen zu eigen. Latein, Griechisch und Sanskrit folgten kurz darauf – und die Liste wurde immer länger.
Seine hauptsächliche Motivation für das Deutschlernen war die Literatur. Der Polyglott hat eine Leidenschaft für deutsche Schriftsteller, und war erpicht darauf, die Werke in der Originalsprache zu lesen. Er entwickelte eine intensive Methode, bei der er 16 Stunden am Tag lernt, die Sprachen transkribiert und voll in die Laute, Struktur und Dynamik der Lernsprache eintaucht. Er beschreibt den Moment, in dem sich eine Sprache ihm endlich offenbart, als Wachs, das aus seinen Ohren fällt.
Dem erfolgreichen Linguisten zufolge sollte jede gebildete Person – egal ob Sprachgenie oder nicht – mindestens sechs Sprachen lernen. Argüelles strukturiert sogar die Sprachauswahl nach folgendem Schema:
- a) Die klassische(n) Sprache(n) deiner eigenen Zivilisation
- b) Die großen lebendigen Sprachen des eigenen Umfelds
- c) Englisch, die internationale Sprache (oder eine semi-exotische, wenn du englischer Muttersprachler bist)
- d) eine Sprache deiner Wahl
Zum Beispiel sollte eine Person in der westlichen Welt a) Latein und Griechisch, b) Englisch und Französisch, Spanisch oder Deutsch c) Russisch und d) Persisch, Arabisch, Sanskrit, Hindi oder Chinesisch lernen.
Wenn du das für ein zu großes Unterfangen hältst, denk daran, dass du schummeln kannst. Spanisch und Französisch sind nicht sehr verschieden und beides sind große Sprachen, die dir Zugang zu vielen Kulturen und Einblicke in die Geschichte geben.
Sprachpionierin und Simultanübersetzerin: Kató Lomb
Als Kató Lomb 2003 verstarb, war sie fast 100 Jahre alt und hatte ihr Leben als Sprachpionierin verbracht. Sie war eine der ersten Simultanübersetzerinnen der Welt und schaffte es, 16 Sprachen zu lernen. Ein einzigartiges Sprachgenie! Wie sie das geschafft hat? Unersättliche Neugierde und keine Hemmungen davor, Fehler zu machen! Nachdem sie Chemie und Physik studiert hatte, stürzte sie sich auf Englisch, mit der Intention, Englischlehrerin zu werden. Sie nahm sich einige Bücher und ein Wörterbuch vor und las so viel Englisch, wie sie konnte – learning by doing, also. (Und ja, sie hat die Sprache auch unterrichtet, und war mit ihrem Sprachwissen dem Lehrplan immer nur zwei Unterrichtseinheiten voraus!)
Ihre linguistische Furchtlosigkeit erlaubte ihr, mit den 16 Sprachen, die sie neben ihrer Muttersprache Ungarisch beherrschte, ihren Lebensunterhalt zu verdienen: Bulgarisch, Rumänisch, Polnisch, Russisch, Slowakisch, Ukrainisch, Dänisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch, Hebräisch, Latein, Japanisch und Chinesisch.
In ihrem Buch This is How I Learn Languages erwähnt Lomb, dass sie geradewegs in einen Fortgeschrittenenkurs für Polnisch ging und ihrer Lehrerin sagte, dass sie keinerlei Kenntnisse in der Sprache hatte, dafür aber sehr motiviert war, zu lernen. Die Lehrerin war so beeindruckt, dass sie Lomb am Unterricht teilnehmen lies.
Kató Lomb meisterte Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch auf Muttersprachlerniveau und bereiste die Welt, schrieb Bücher über ihre Erfahrungen und wurde als mehrsprachiges Wunderkind gefeiert. Während ihres späteren Lebens scherzte sie mit einem jungen (!) Freund in seinen späten Fünfzigern, dass er noch eine Menge Zeit hatte, Sprachen zu lernen. Für Kató war es nie zu spät, sich einer Herausforderung zu stellen!
Sprachgenie und Bestsellerautor: J.R.R. Tolkien
Tolkien ist dafür bekannt, konstruierte Sprachen wie die Sprachen der Elben in seiner fiktionalen Welt Mittelerde zu beheimaten. Wenn du Der Herr der Ringe und Der Hobbit gelesen hast, könntest du annehmen, dass diese ausgedachten Sprachen nicht mehr als Kauderwelsch sind, aber in Wahrheit haben Tolkiens Sprachen eine Grammatik und Semantik, die natürlichen Sprachen gleichkommen, auch wenn ihr Vokabular nicht so weit ausgebaut ist.
Es fing alles mit Tolkiens Mutter an, die ihm von klein auf Latein, Französisch und Deutsch beibrachte. Die Liebe dieses kleinen Jungen für Sprachen brachte ihn dazu, später im Leben noch mehr zu lernen. Seine Lieblingssprache war angeblich Finnisch.
Diese Sprache inspirierte ihn dazu, Quendin – die hochelbische Sprache – zu entwickeln. Seine Liebe für das Walisische beeinflusste Sindarin, die zweite seiner komplexen erfundenen Sprachen.
Tolkiens linguistische Kreationen beinhalten Valarin (Sprache der Götterwesen), Eldarin, Vanyarin, Noldórin, Telerin, Sindarin, Avarin (allesamt Elbensprachen), Quendin (Sprache der Gelehrten), Khuzdul (Sprache der Zwerge), Orquin (Sprache der Orks und Uruk-Hai), Entisch (Sprache der Ents), Parmalambië (Schriftsprache) und Matengwië (Zeichensprache).
Seine natürlichen Sprachen umfassten das zuvor erwähnte Walisische und Finnische, Latein, Französisch und Deutsch, aber auch Griechisch, Mittelenglisch, Altenglisch, Gotisch, Italienisch, Altnordisch und Spanisch.
Nicht nur die Phonetik oder Grammatik faszinierten Tolkien – die Kultur, Geschichte und Entwicklung einer Sprache entfachte seine Neugierde und hielt sie am Leben. Tolkien glaubte nicht, dass man eine Sprache für ihren praktischen oder wirtschaftlichen Zweck lernen sollte, sondern eher für die Liebe an der Sprache. Daher rührte sein Bedürfnis, die Ursprünge und Entwicklungen einer gesprochenen Sprache zu verstehen; ein Interesse, das in seinen Kreationen reflektiert wird, und das Produkt einer fiktionalen historischen Entwicklung, die andere fiktionale Sprachen ins Leben rief.
Tolkien studierte Vergleichende Sprachwissenschaft in Oxford und begann seine Lehrtätigkeit in der Englischabteilung der Universität Leeds. Zurück an seiner Alma Mater Oxford unterrichtete er größtenteils Altenglisch, Mittelenglisch und die Geschichte der englischen Sprache. Er blieb ein Gewohnheitstier und eine Kreatur einfacher Freuden, reiste wenig außerhalb seiner Fantasiewelten und verwendete fast nie die Sprachen, die er gelernt und kreiert hatte, um mit anderen in realen Situationen zu kommunizieren. Er sah Sprachen selbst als wertvoll an, sie erfüllten keinen anderen Zweck als ihrem Sprecher Vergnügen zu bereiten. Diese Philosophie hebt sich scharf von Kató Lombs Weltenbummler-Herangehensweise ab.
Heute unterstützen die meisten von uns Lombs Einstellung über den Wert des Erlernens einer Sprache, um sie für unmittelbare professionelle oder akademische Vorteile zu benutzen. Aber Tolkiens Herangehensweise spiegelt eine sanftere Welt wider, eine, die sich weniger mit Leistungen und Kompensationen befasst. Welche Herangehensweise für dich auch immer passend ist, vergiss nie die Erfüllung, die dir eine Sprache – oder viele Sprachen! – geben kann. Letztendlich werden dich Liebe und Faszination motivieren.