Mehr als 50 Prozent der Frauen sind betroffen
Digitale Gewalt ist eine Form verbaler Gewalt und ein Sammelbegriff für unterschiedliche Ausprägungen der Herabsetzung, Belästigung, Diskriminierung, sozialen Isolation und Nötigung anderer Menschen im Internet mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel (z. B. Handy). Dazu zählen unter anderem Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung, Erpressung, Hassrede, Cybermobbing und Cyberstalking. Auch das sogenannte Doxxing, das Veröffentlichen von privaten Daten wie z. B. der Privatadresse, gehört dazu.
Verbale Gewalt ist viel mehr als verletzende Worte
Musik, Filme und Serien, Bücher, private Nachrichten per E-Mail oder SMS, Anrufe, Gespräche, Posts und Kommentare in den sozialen Medien – es gibt unzählige Orte, in denen das Medium Sprache genutzt wird. Sie umgibt uns tagtäglich und überall. All den Botschaften zu entkommen, die mithilfe von Sprache übermittelt werden, ist deshalb nahezu unmöglich. Gefährlich wird es, wenn es sich um Botschaften handelt, mit denen Gewalt transportiert wird. „Von verbaler Gewalt sprechen wir, wenn Sprache bewusst dazu eingesetzt wird, Individuen oder Menschengruppen zu beleidigen, zu demütigen, zu belästigen oder auszugrenzen”, erklärt Cornelia Lahmann, Angewandte Linguistin bei Babbel. Sie erläutert die heimtückische Problematik verbaler Gewalt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive: „In der Linguistik sprechen wir von sogenannten illokutionären und perlokutiven Sprechakten. Der illokutionäre Akt ist eine durch Sprache vollzogene Handlung.”
Was ist damit gemeint? Wenn zum Beispiel jemand in einem Twitterpost über eine Frau schreibt „Sie ist eine wertlose Schlampe”, dann wird alleine durch diese fünf Worte der fragwürdige Charakter und eine angebliche Wertlosigkeit dieser Frau geltend gemacht. Dabei geht es überhaupt nicht um ein Wahr oder Falsch der Aussage. In erster Linie handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Worten, die der adressierten Person gegenüber verletzend und diffamierend sind und die sich auch für alle anderen Mitlesenden in irgendeiner Form bemerkbar machen. Sie bleiben in den Köpfen aller verankert. Lahmann erklärt weiter: „Bei dem sogenannten perlokutiven Akt geht es einen Schritt weiter: Hier handelt es sich um die Folgen einer konkreten Handlung, die nach dem Sprechakt eintreten. Bleiben wir bei unserem Beispiel, kann das heißen, dass all diejenigen, die den Twitterpost lesen, davon überzeugt sind, dass er wahr ist. Entsprechend glauben sie, der Person gegenüber respektlos auftreten zu können.”
Digitale Gewalt muss ernst genommen werden
„Das Medium Sprache fügt den Betroffenen mindestens genauso großen Schaden zu wie physische Gewalterfahrungen”, sagt Claudia Otte. Sie ist Sozialarbeiterin und Teil des Teams in der Betroffenenberatung bei HateAid. Menschen, die online Hass und Hetze erleben, beleidigt, verleumdet oder bedroht werden, erhalten hier ein kostenloses Beratungsangebot und in einigen Fällen eine Prozesskostenfinanzierung. Damit ist HateAid die einzige Beratungsstelle Deutschlands, die ausschließlich Betroffene digitaler Gewalt unterstützt. Der Sammelbegriff digitale Gewalt umfasst dabei verschiedene Formen der Herabsetzung, Belästigung, Diskriminierung, sozialen Isolation und Nötigung anderer Menschen im Internet und mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel. Hierzu zählen unter anderem:
Beleidigung
Öffentliche und private Kommentare und Nachrichten inklusive Beschimpfungen, die vulgär, aggressiv, respektlos und verletzend sind.
Verleumdung
Das öffentliche Verbreiten von Lügen über eine Person. Sie führen dazu, dass die Meinung anderer über diese Person negativ beeinflusst wird und ihr Ruf langfristig geschädigt werden kann.
Bedrohung
Unter Bedrohungen fällt sowohl die öffentliche als auch die private Ankündigung, jemanden zu verletzen oder gar zu töten.
Erpressung
Andere mithilfe von digitalen Kommunikationsmitteln zu Handlungen zwingen. Hierzu zählt zum Beispiel auch die Drohung, intime Bilder oder Videos zu veröffentlichen.
Hassrede
Auch unter dem englischen Begriff Hate Speech bekannt. Hassrede richtet sich gegen eine bestimmte Person oder Personengruppe. Mit abwertenden, menschenverachtenden und volksverhetzenden Inhalten werden diese öffentlich im Internet herabgesetzt, beleidigt und angegriffen.
Cybermobbing
Hierzu zählen Bedrohungen, Belästigungen oder Beleidigungen im Netz, beispielsweise in Form von E-Mails, Foren, Chats, auf Webseiten oder in sozialen Netzwerken. Auch das Ausgrenzen aus einer Gruppe (z. B. einem Gruppenchat) wird als Cybermobbing eingestuft.
Cyberstalking
Bedrängende Handlungen mithilfe von digitalen Kommunikationsmitteln. Dazu zählt die unerwünschte und regelmäßige Kontaktaufnahme durch E-Mails, SMS oder soziale Netzwerke, aber auch das Überwachen und Ausspionieren digitaler Aktivitäten anderer. Außerdem: das Anlegen falscher Profile im Netz, um etwa Lügen über eine Person zu veröffentlichen oder in ihrem Namen zu handeln (z. B. Posten oder Onlineshopping). Hier spricht man auch von Identitätsdiebstahl.
Doxxing
Das Zusammentragen und Veröffentlichen von privaten Daten anderer im Internet (z. B. Privatadresse).
Racheporno
Hierunter fällt das Veröffentlichen von freizügigen, intimen Inhalten einer Person, ohne deren Einwilligung. Dazu zählen Fotos oder Videos, aber auch intime oder peinliche Informationen.
Sexuelle Belästigung
Das Zuschicken anzüglicher, herabsetzender oder pornograhischer Nachrichten, Bilder oder Videos mithilfe von digitalen Kommunikationsmitteln. Dies kann sowohl privat als auch öffentlich passieren. Auch das indiskrete Ausfragen (z. B. zu sexuellen Vorlieben), Aufforderungen zu sexuellen Handlungen oder obszöne Witze sind eine sexuelle Belästigung.
Aus den Zahlen von HateAid geht hervor, dass Frauen doppelt so häufig digitale Gewalt erfahren wie Männer. Aktuell betreut HateAid 300 weibliche Betroffene. „Auffällig ist, dass digitale Gewalt gerade Frauen gegenüber oft sexualisiert ist”, so Otte. „Sie reicht von rüden Beschimpfungen bis hin zu Vergewaltigungswünschen.”
Du bist von digitaler Gewalt betroffen?
Problematisch ist, dass verbale, digitale Gewalt oft nicht als Gewalterfahrung benannt wird. Die Auswirkungen sind auf den ersten Blick nicht unbedingt sichtbar und werden nicht immer ausreichend ernst genommen. Dabei sind psychischer Stress, Angstzustände, Depressionen oder Drogenmissbrauch zum Teil lebensgefährliche Folgen. Folgende Hilfe-Strategien empfiehlt HateAid Betroffenen digitaler Gewalt:
Hilfe im eigenen Umfeld suchen
- vertraue dich Menschen aus deinem Umfeld an und sprich über die Geschehnisse
- Bitte Freund*innen, deine Social-Media-Konten oder E-Mail-Accounts zu betreuen
- Inhalte sollten via Screenshot festgehalten, dann aber wenn möglich am besten gelöscht, gemeldet oder blockiert werden
- gerade wenn es sich um wiederholende digitale Gewaltattacken oder einen ganzen Shitstorm handelt: Lies dir auf keinen Fall alles durch, sondern nimm Abstand
Keine Scheu vor professioneller Hilfe
- Wende dich an professionelle Beratungsstellen
- Auch eine temporäre oder dauerhafte Psychotherapie ist hilfreich
- Nach einer emotional stabilisierenden Erstberatung kannst du juristische Schritte erwägen und ggf. eine Anzeige erstatten
- Auch eine (IT)-Sicherheitsberatung kann sinnvoll sein
Kontakt zu HateAid
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