Eine neue Sprache sprechen wie die eigene – geht das?

Können wir eine Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen, selbst, wenn wir sie erst später im Leben lernen? Ein Erfahrungsbericht.
Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen

Für viele von uns, die eine neue Sprache lernen wollen, ist das heimliche Ziel beim Sprachenlernen, eine Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen zu können. Was heißt das? Wir wollen so gut sprechen, dass wir von anderen Muttersprachlern und Muttersprachlerinnen nicht enttarnt werden. Wir wollen also akzentfrei und ohne grammatische Fehler sprechen. Aber ist das möglich? Mein persönlicher Erfahrungsbericht geht der Frage, ob man eine Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen kann, auf den Grund.

Das musst du von meinem persönlichen Sprachlernweg wissen

Die Sprache, um die es geht

Ich werde in diesem Artikel darauf eingehen, wie ich Englisch gelernt habe und ob ich inzwischen das Gefühl habe, dass ich die englische Sprache wie meine Muttersprache, Deutsch, beherrsche. Englisch ist für mich als deutsche Muttersprachlerin durch die Sprachverwandtschaft deutlich leichter zu lernen als andere Sprachen wie beispielsweise Russisch. Englisch und Deutsch haben ein Grundvokabular gemeinsam, viele verwandte Konzepte und eine relativ ähnliche Grammatik. Es gibt aber auch Konzepte wie das gerund (die grammatische Verlaufsform, die mit -ing markiert wird), die es in meinem Heimatdialekt des Deutschen nicht gibt.

Mein Hintergrund

Meine Erfahrungen mit dem Sprachenlernen sind typisch für eine deutschsprachige Person mit deutschsprachigen Wurzeln meines Alters. Ich bin nicht zweisprachig aufgewachsen. Englisch habe ich seit der dritten Klasse spielerisch gelernt, seit der siebten Klasse auf dem Gymnasium ernsthaft. Einen Schüleraustausch habe ich nicht mitgemacht. Erst später in meinem Leben wird es internationaler: Nach dem Abitur bin ich auf eigene Faust für ein Work-and-Travel-Jahr in den englischsprachigen Teil von Kanada gegangen. Studiert habe ich Deutsche und Englische Philologie, also eine Mischung aus Sprachwissenschaft und Literatur. Mit meinem Mann spreche ich Englisch und ich habe mehrere Jahre lang auf Englisch gearbeitet.

Habe ich ein besonderes Talent fürs Sprachenlernen?

Als Person, die seit Jahren hauptberuflich schreibt, ist es keine große Überraschung, dass ich nicht ganz untalentiert bin, was das Sprachenlernen angeht. Ich bin aber auch weit davon entfernt, ein Sprachgenie zu sein. Mit dem Französischen hatte ich zum Beispiel relativ wenige Schwierigkeiten und kann mit etwas Mühe eine Unterhaltung führen. Am Russischen beiße ich mir dagegen seit Jahren die Zähne aus. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass ich nicht so viel Zeit in die Sprache investiere, wie angebracht wäre. Ich befolge auch nicht all die Tipps und Tricks zum Sprachenlernen, die ich selbst auf dem Babbel Magazin lese – wie war das noch mit dem Schuster und seinen eigenen Schuhen?

Freunde reden

Eine Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen – was heißt das überhaupt?

Die Grammatik muss stimmen …

Grammatik ist für Lernende ein verzwicktes Thema, das sprachwissenschaftlich sehr interessant ist. Denn bei näherem Hinsehen wird vieles, was uns als „richtige“ Grammatik einer neuen Sprache beigebracht wird, zum Zweck des Unterrichtens vereinfacht, obwohl die sprachliche Realität komplex und voller Ausnahmen ist. Das gilt übrigens auch, wenn wir die Grammatik unserer eigenen Sprache in der Schule lernen. Es geht schon mit „einfachen“ metasprachlichen Beschreibungen los. Bestimmt hast du in der Schule gelernt, dass ein Substantiv ein Dingwort, Gegenstandswort oder Namenwort ist. Aber was ist mit Wörtern wie Luft oder Stolz oder Eigenschaft, die Substantive, aber keine Dinge, Gegenstände oder Namen sind? Die Diskrepanz zwischen dem, was uns beigebracht wird und dem, was in der Sprache passiert, zieht sich durch den Lernweg. Oft sind „Regeln“, die wir lernen, nicht so starr, wie Lehrer und Lehrerinnen es uns weismachen wollen und Muttersprachler brechen sie übrigens ständig – oft auch, weil sie sich dieser „Regeln“ gar nicht bewusst sind.

Das Vokabular muss sitzen …

Im Deutschen werden viele Wörter dadurch geformt, dass wir existierende Wörter zusammensetzen. Das Englische hat sich dagegen viele Wörter geborgt. Erkennbar ist das zum Beispiel durch die Wörter Rindfleisch und Schweinefleisch und ihre englischsprachigen Entsprechungen. Auf Englisch heißen die nicht einfach cowmeat und pigmeat, sondern beef und pork, abgeleitet vom französischen bœuf und porc. Durch freudiges Borgen enthält der Korpus des Oxford English Dictionary, welches das britische Äquivalent zum Duden ist, inzwischen mehr als zwei Milliarden Wörter. Das heißt, dass viele englische Muttersprachler englische Wörter entweder kennen oder eben nicht, genauso wie ich englische Wörter entweder kenne oder nicht. Ab wann können wir sagen, dass meine Sprachfähigkeiten denen von Muttersprachlern gleichen?

Der Mythos der akzentfreien Sprache

Wenn es um das perfekte Sprechen einer anderen Sprache geht, wird „Akzentfreiheit“ oft als Merkmal genannt. Aber was heißt das? Klar ist: Den deutschen Akzent wollen wir nicht. Aber innerhalb des Englischen gibt es zahlreiche Dialekte, die alle mit ihrer eigenen Aussprache verbunden sind. Müssen wir also einen speziellen Dialekt einer Sprache beherrschen, wenn wir diese Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen wollen?

Eine neue Sprache so gut sprechen wie die eigene – geht das?

Denke ich von mir, dass ich Englisch genauso gut spreche wie meine Muttersprache?

Aufgrund all dieser Diskussionsthemen kann ich auf die Frage, ob ich Englisch so gut spreche wie meine Muttersprache, oder wie eine englische Muttersprachlerin, keine definitive Antwort geben. Meine Grammatik ist sehr gut (abgesehen vom gerund, welches mir noch nicht ganz in Fleisch und Blut übergegangen ist) und ich korrigiere in meinem Kopf Rechtschreibfehler englischer Muttersprachler.

Ich schreibe Magazinartikel und Kinderbücher auf Englisch, habe mehr als ein Jahr in einer englischsprachigen Gesellschaft funktioniert, mein Leben dort organisiert und meine Steuererklärung ausgefüllt. Ich spreche täglich definitiv mehr Englisch als Deutsch. Da ich inzwischen wieder in Kanada lebe, sind bestimmt 90 Prozent meines sprachlichen Inputs auf Englisch, sei es durch Gespräche, Preisschilder und Produktverpackungen beim Einkaufen, Werbung, Filme, Musik, Bücher oder YouTube-Videos. Die Benutzeroberfläche all meiner technischen Geräte ist auf Englisch, weil ich so mehr Möglichkeiten zum Googlen habe, wenn etwas nicht so funktioniert, wie es sollte. Dadurch ist mein Vokabular definitiv mit Muttersprachlern vergleichbar – besonders, wenn es um Marketing, das Mittelalter und Fantasy geht. Manche Konzepte, zum Beispiel solche, die mit Phonetik (dem Teil der Sprachwissenschaft, der sich mit Lauten beschäftigt) zu tun haben, kann ich sogar fast nicht auf Deutsch erklären, weil ich sie auf Englisch gelernt habe. Auf der anderen Seite fehlen mir manchmal Wörter, die erwachsene Menschen, die in einem englischsprachigen Land aufgewachsen sind, kennen.

Einen deutschen Akzent habe ich definitiv, auch, wenn viele ihn nicht als solchen identifizieren können, weil ich nicht wie Arnold Schwarzenegger klinge.

Und schließlich denke und träume ich auf Englisch.

Alles in allem würde ich sagen, dass meine englischsprachigen Fähigkeiten mit meinen deutschsprachigen und auch mit denen englischer Muttersprachler vergleichbar sind. Ob du denkst, dass ich dadurch eine Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen kann, musst du selbst abwägen.

Eine Fremdsprache wie die Muttersprache sprechen – dieser Tipp bringt dich dem Ziel näher

Unabhängig von deiner Meinung über meine Sprachkenntnisse kann ich dir auf jeden Fall einen Tipp mit auf den Weg geben, wie du deine Sprachkenntnisse in jeder Sprache verbessern kannst: vollkommene Immersion. Versuche, deinen Alltag auf die andere Sprache umzustellen. Das ist nicht einfach. Aber du musst auch nicht in ein Land ziehen, wo diese Sprache gesprochen wird oder eine Arbeit finden, wo deine neue Sprache die Geschäftssprache ist. Indem du allen Input auf deine neue Sprache umstellst und dich viel mit Menschen umgibst, die die Sprache sprechen, wirst du dein eigenes kleines sprachliches Ökosystem aufbauen, in dem deine Sprachkenntnisse aufblühen können.

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Katrin Sperling

Katrin Sperling ist in Potsdam geboren und aufgewachsen und hat nach dem Abitur ein Jahr in Toronto, Kanada verbracht. Weil ihr Hogwarts-Brief zu ihrem 20. Geburtstag im Jahr 2011 immer noch nicht angekommen war, musste sie schließlich die Realität akzeptieren und studierte Englische und Deutsche Linguistik in Berlin. Zum Glück erwies sich die Linguistik als genauso magisch, weswegen Katrin sehr glücklich ist, jetzt für das Babbel Magazin über Sprachen zu schreiben.

Katrin Sperling ist in Potsdam geboren und aufgewachsen und hat nach dem Abitur ein Jahr in Toronto, Kanada verbracht. Weil ihr Hogwarts-Brief zu ihrem 20. Geburtstag im Jahr 2011 immer noch nicht angekommen war, musste sie schließlich die Realität akzeptieren und studierte Englische und Deutsche Linguistik in Berlin. Zum Glück erwies sich die Linguistik als genauso magisch, weswegen Katrin sehr glücklich ist, jetzt für das Babbel Magazin über Sprachen zu schreiben.