Als Sprachexpertin, die Deutsche und Englische Philologie studiert hat, hört man üblicherweise drei Reaktionen, wenn man sich vorstellt.
- Reaktion Nummer eins: „Was ist das?“
- Antwort: „Eine Mischung aus älterer (bis 1500) und neuerer (ab 1500) Literatur und Sprachwissenschaft.“
- Die zweite: „Und was machst du dann damit?“
- Bei der Antwort werde ich jetzt nicht ausschweifen, aber immerhin schreibe ich für ein Magazin, das sich ums Sprachenlernen dreht.
- Die dritte Reaktion: „Oh, du hast Sprachwissenschaft studiert … dann muss ich ja jetzt genau aufpassen, was ich sage.“
Es wird uns von Kindheit an beigebracht, elitär mit Sprache umzugehen
Die dritte Reaktion geht mir nahe. Aber ich verstehe, woher sie kommt. In der Schule zeigt der Rotstift im Aufsatz an, was richtig oder falsch ist. Es wird einem beigebracht, wie man sich in der eigenen Muttersprache „richtig“ und „falsch“ auszudrücken hat. Und als Erwachsene lesen wir Bastian Sicks Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod und schämen uns für die Fehler, die wir machen, und fühlen uns erhaben für die Fehler, die wir nicht machen … und hören dabei auf einen Mann, der Sprache extrem normativ und stellenweise auch sachlich falsch erklärt.
Wer Sprache liebt, lässt sie leben
Mir selbst ist erst zum Anfang meines Sprachstudiums die Unsinnigkeit dieser elitären Denkweise in Verbindung mit Sprache klar geworden. Ich liebe Sprache. Und wer Sprache liebt, der sollte zulassen, dass sie lebt, in kreativer und dialektaler Vielfalt existiert und sich verändern darf. Wer Sprache liebt, sollte sich eine elitäre Denkweise abgewöhnen.
Diskrimination sollte nicht akzeptabel sein – auch dann nicht, wenn „nur“ Sprache diskriminiert wird
Sprache ist eines der wenigen Gebiete, auf dem Diskrimination noch akzeptabel ist. Ein Text kann schon dadurch entkräftet werden, dass sich ein Tippfehler in ihm wiederfindet – auch wenn die niedergeschriebenen Ideen selbst echt clever sind. Auf der Arbeit wird der Professionalität wegen der Dialekt aus dem sächsischen Heimatdorf unterdrückt. Die Jugendlichen sprechen wie so viele „Kanakendeutsch“ ohne Genitiv und verhunzen damit die schöne deutsche Sprache. Und der blöde Ami-Hipster kann auf dem Amt immer noch kein Formular auf Deutsch ausfüllen.
Die Diskrimination wird oft damit gerechtfertigt, dass sie vermeintlich von den Sprechenden losgekoppelt wird. Und klar bin auch ich nicht davon ausgeschlossen, teilweise elitär mit Sprache umzugehen, wenn auch nur im Hinterkopf. Mir wurde diese Sichtweise auf die Sprache schließlich genauso „eingeprügelt“ und unterschwellig vermittelt wie allen anderen. Wenn ich Kölsch höre, rollen sich mir die Fußnägel hoch und auch ich beuge mich bei der Rechtschreibung den Dudenvorschlägen.
Aber wir müssen einsehen, dass sich Sprache nicht von ihren Sprechenden loskoppeln lässt. Die Meinung über eine Sprachvarietät rührt von einer Meinung über ihre Sprechende her. Und aus einer sprachwissenschaftlichen Betrachtungsweise ist die meiste Sprachkritik vollkommen haltlos.
Oft ist Sprachkritik wissenschaftlich haltlos
Zum Beispiel wird eine Lese- und Rechtschreibschwäche oft als Zeichen verminderter Intelligenz wahrgenommen. Dabei kann eine Legasthenie überhaupt nur dann diagnostiziert werden, wenn bei schwacher schriftsprachlicher Leistung eine deutlich höhere Intelligenzleistung vorliegt.
Auch Dialekte, die oft als „falsch“ angesehen werden, sind sowohl in Aussprache als auch Grammatik oft regelmäßiger und damit logischer als die als „richtig“ empfundende Standardsprache.
Wer eine Sprache nicht komplett oder mit Akzent spricht, der hat zumindest angefangen, eine neue Sprache neben der eigenen Muttersprache zu lernen.
Und der Mythos des Sprachverfalls entsteht dann, wenn Sprechende die Sprachvariation, die sie gelernt haben, als einzig richtige ansehen: Das Deutsch, was man selbst spricht, ist natürlich richtig, das, was danach kommt, selbstverständlich falsch. Diese elitäre Sichtweise ignoriert die Tatsache, dass sich Sprache schon immer verändert hat und dass heutige Kritiker des Sprachwandels selbst auch kein Germanisch, das Deutsch Goethes oder eine andere vorhergehende Sprachstufe des Deutschen sprechen.
Wie können wir uns davon loslösen, elitär mit Sprache umzugehen?
Klar ist die Lösung für das Problem des Sprachelitismus nicht, dass wir alle Regeln über Bord werfen. Sprache hat immer gewisse Grundstrukturen, die eine erfolgreiche Kommunikation ermöglichen. Und obwohl sie nicht immer ganz unproblematisch ist, erlaubt uns eine standardisierte Version der Sprache, dass Menschen in Hamburg mit Menschen in München kommunizieren können – was nicht immer eine historische Gegebenheit war. Was wir tun müssen, ist, uns von unseren starren Vorstellungen von „richtiger“ und „falscher“ Sprache loszulösen. Stattdessen sollten wir Sprache für das akzeptieren, was sie ist: ein Werkzeug zur Kommunikation. Und genauso, wie man verschiedene Schraubenzieher für verschiedene Schrauben benutzt oder ein Brett nicht mit einem Hammer zersägt, sollte sich auch das Werkzeug der Sprache an die gegebene Situation anpassen.
„Du schlüpfst für ein Interview in einen Anzug und deine Sprache putzt du auch heraus. Du kannst linguistisch oder kleidungstechnisch anziehen, was du willst, wenn du zu Hause oder mit Freunden zusammen bist, aber die meisten Menschen akzeptieren die Notwendigkeit, sich unter bestimmten Umständen schick zu machen – das ist schlicht rücksichtsvoll. Aber das ist eine Sache der Angepasstheit, der Angemessenheit, es hat nichts mit Korrektheit zu tun. Es gibt keine richtige oder falsche Sprache, genauso wenig, wie es richtige und falsche Kleidung gibt. Kontext, Konvention und Umstände sind alles.“
– Stephen Fry, britischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Schauspieler, Regisseur, Journalist, Dichter, Komiker und Fernsehmoderator.
Durch elitäres Sprachverhalten beschränken wir unsere Ausdrucksmöglichkeiten
Mit einer elitären Grundhaltung gegenüber Sprache erlauben wir sowohl uns als auch anderen nicht, kreativ mit unserer Muttersprache umzugehen oder uns andere Sprachen anzueignen. Wie wäre es also mit diesen neuen Betrachtungsweisen …?
- Statt Dialekte und neuere Sprachvarianten als falsch abzutun, könnten wir uns der Vielfalt und Wandelbarkeit unserer Sprache bewusst werden. Wir können die Regeln unserer Standardsprache hinterfragen.
- Statt mit den Augen zu rollen, wenn jemand einen Akzent in oder Probleme mit unserer Muttersprache hat, sollten wir wertschätzen, dass diese Person unsere Sprache lernt – und hoffen, dass uns auch mit Geduld begegnet wird, wenn wir uns an einer neuen Sprache versuchen.
- Statt uns über jemanden lustig zu machen, wenn er oder sie ein Fremdwort nicht kennt, sollten wir uns daran erinnern, dass die Person in anderen Umständen aufgewachsen ist als wir – das müssen nicht einmal schlechte oder ungebildete Umstände sein.
- Wenn Menschen Wörter falsch aussprechen, könnten wir davon ausgehen, dass sie diese Wörter aus einem Buch gelernt haben – und was ist an vielem Lesen schon auszusetzen?
- Statt Sprache als unantastbares Gerüst von erdrückenden Regeln wahrzunehmen, sollten wir uns frei fühlen, mit ihr kreativ umzugehen. Wer Sprache liebt, der lässt sie leben.