Der deutsche Sprachwandel ist ein Phänomen, das so alt wie unsere Sprache selbst ist. Einen der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des Mittelalters, Walther von der Vogelweide (um 1170–1230), würden wir beispielsweise ohne moderne Übersetzung kaum noch verstehen. Wieso erklärt er seine minne zu einer juncfrouwe, die besonders rîch ist? Das Wort minne (grob übertragen „Liebe“) gibt es nicht mehr und der mittelalterliche Titel juncfrouwe beschreibt nicht etwa die sexuellen Erfahrungen, sondern den hohen sozialen Stand einer Frau – was demnach nicht heißt, dass Walthers rîche Jungfrau Geld haben muss, um seinem Lob würdig zu sein. Denn im Mittelalter bedeutete das Wort rîch nicht nur „reich“, sondern auch „vornehm, mächtig, gewaltig, ansehnlich, kostbar“ oder „glücklich“. Wir müssen auch nicht dreißig Generationen zurück in die Zeit reisen, um auf Sprachwandel zu stoßen. So hieß merkwürdig zur Zeit Goethes nicht „seltsam“, sondern wortwörtlich „etwas, das man sich merken sollte“, also des Merkens würdig.
Diese Beispiele zeigen, dass sich Sprachen schon immer geändert haben und sich auch jetzt noch im Wandel befinden. Obwohl es viel Kritik an diesen Änderungen gibt, wollen wir an dieser Stelle nicht werten – vielmehr möchten wir dich mit diesem Artikel zum Nachdenken über Sprache anregen und fragen: Wie kommt es zum Sprachwandel und was wandelt sich in einer Sprache?
Sprachwandel – Die Definition
Der Begriff Sprachwandel bezieht sich auf die Veränderung von Lauten, dem Wortschatz und manchmal sogar auf Teilen der Grammatik einer Sprache. Er tritt bei allen lebenden Sprachen auf und findet zu allen Zeiten statt. Dabei vollzieht er sich meist unbewusst.
Jetzt bleibt nur die Frage, was sich in einer Sprache wandelt. Schauen wir uns das genauer an!
Welche verschiedenen Arten und Beispiele des Sprachwandels gibt es?
Sprachwandel ist ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, aber welche Arten von Sprachwandel gibt es? Hier sind einige der wichtigsten:
Der Bedeutungswandel
Der Bedeutungswandel ist eine der häufigsten Formen des Sprachwandels und betrifft die Veränderung der Bedeutung von Wörtern im Laufe der Zeit. Diese Veränderungen können subtil oder drastisch sein und spiegeln oft gesellschaftliche, kulturelle und technologische Entwicklungen wider.
Ein Beispiel für den Bedeutungswandel ist das Wort „Schlüpfer“. Ursprünglich war es eine neutrale Bezeichnung für Unterwäsche. Im Laufe der Zeit hat sich die Bedeutung aber verändert, und heute wird „Schlüpfer“ oft abwertend für altmodische oder unattraktive Unterwäsche verwendet. Diese Veränderung zeigt, wie sich die Wahrnehmung und Konnotationen von Wörtern ändern können.
Ein weiteres interessantes Beispiel ist das Wort „geil“. Früher bedeutete es „fruchtbar“ oder „üppig“. Heutzutage wird es umgangssprachlich verwendet, um etwas als „toll“ oder „super“ zu beschreiben. Allerdings hat „geil“ auch noch die ursprüngliche Bedeutung von „sexuell erregt“, was zu Missverständnissen führen kann, wenn der Kontext nicht klar ist.
Grammatischer Sprachwandel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Schlimm! Oder?
Die Grammatik, das heißt ihre Veränderungen, geraten besonders oft ins Kreuzfeuer der Sprachkritik! Manche Satzstellungen seien schöner als andere, die Jugendlichen sprechen einfach nicht mehr richtig und der Dativ hat ganz hinterrücks den Genitiv ermordet. Vielleicht war das Mordmotiv des Dativs, dass er sich selbst bedroht fühlt! Schließlich wird er im Gegensatz zum Genitiv kaum noch am Wort(e) selbst markiert. Zum Glück wird der Genitiv (sofern er denn wirklich verschwindet) nicht allein im Nirgendwo sein. Denn er hat als Gesellschaft den Instrumental und den Vokativ, zwei der sechs Fälle, die im Germanischen noch verwendet wurden, im Deutschen aber nicht mehr.
Wenn wir im sprachlichen Stammbaum des Deutschen noch ein Stück weiter ins Indoeuropäische zurückgehen, steigt die Zahl der inzwischen außer Gebrauch geratenen Fälle sogar auf vier:
- Vokativ (Fall für Anreden und Anrufe)
- Instrumental (Fall für Mittel und Werkzeuge)
- Ablativ (Fall der Bewegung vom Gegenstand weg und des Grundes)
- Lokativ (Fall des Ortes des Gegenstandes und der Angabe der Zeit)
Der lexikalische Wandel – Die Entstehung neuer Wörter
Neue Wörter entstehen oft durch den Einfluss anderer Sprachen oder durch die Notwendigkeit, neue Konzepte zu benennen. Beispiele für den lexikalischen Wandel sind „Wifi“, „Smartphone“ und „Smartwatch“. Auch das Ersetzen von Fremdwörtern durch deutsche Begriffe ist eine Form des lexikalischen Wandels. So verdanken wir dem Sprachpuristen Philipp von Zesen Wörter wie „Abstand“ (statt „Distanz“) und „Besprechung“ (statt „Rezension“).
Der Lautwandel als Form des Sprachwandels
Auch Laute verändern sich im Laufe der Zeit. Ein Beispiel ist die erste Lautverschiebung, bei der sich das lateinische „p“ im Wort „pater“ zu einem „f“ im deutschen „Vater“ wandelte. Diese Veränderung trennt die germanischen Sprachen von den restlichen indoeuropäischen Sprachen. In Englisch, Schwedisch oder Afrikaans haben beispielsweise die jeweiligen Wörter für Vater (father, far, vader) einen [f]-Laut am Anfang. In anderen indoeuropäischen Sprachen klingen sie ähnlich, beginnen aber mit [p] – Auf Italienisch und Spanisch heißt es padre und auf Griechisch πατέρας (patéras).
Aber wie kam es dazu, dass Sprecher:innen ein [p] auf einmal wie ein [f] ausgesprochen haben? Nun, eine prominente Theorie im 19. Jahrhundert besagte, dass die siegreichen germanische Stämme während des 5.–1. Jahrhunderts v. Chr. (also während der Zeit der ersten Lautverschiebung) in bergige Gebiete vordrangen, wo sie wegen der dünneren Luft (und dem ganzen Jubeln über ihre militärischen Siege) schneller außer Atem gerieten. Darum reichte es nicht mehr für die starke Aussprache eines [p], nur für ein [f] war noch genug Luft übrig …
Ebenso faszinierend ist die zweite Lautverschiebung, die sich in den deutschen Dialekten unterschiedlich manifestiert hat. Während einige Dialekte die Lautverschiebung vollständig vollzogen, blieb sie in anderen aus. So wird im Hochdeutschen das [p] in „Apfel“ zu einem [pf], während es im Niederdeutschen bei „Appel“ geblieben ist. Diese Unterschiede zeigen, wie vielfältig und dynamisch der Sprachwandel sein kann und wie er sich regional unterschiedlich auswirkt.
…egal, wie es zum Sprachwandel gekommen ist – wie sich an den Beispielen in diesem Text gezeigt hat, gab es Veränderungen der Sprache schon immer und es wird sie wahrscheinlich auch weiterhin geben. Natürlich kann jeder eine eigene Meinung dazu haben, welche der Variationen schöner klingt oder besser aussieht. Aber vielleicht hat dich dieser Text ein wenig dazu bewegt, Sprachwandel als „anders“, und nicht als „richtig“ oder „falsch“ anzusehen. Denn letztendlich hat Sprachwandel dazu geführt, dass sich aus grunzenden Lauten anfänglicher Sprache verschiedene Sprachfamilien gebildet haben, aus denen wiederum das weiche Französisch, das feurige Spanisch, das niedliche Schwedisch, das am Gaumen kratzende Jiddisch und tausende andere Sprachen wurden, die wir jetzt sprechen, hören, lustig finden, hassen, genießen … und auch lernen können!
Wenn du dich auch für das Lernen neuer Sprachen interessierst, wirst du auch unseren Artikel über die Rolle des Sprachenlernens in der Erziehung zu Weltbürger:innen spannend finden.