Derzeit werden weltweit etwa 7.000 Sprachen gesprochen. Dabei stehen 40 % von ihnen auf der roten Liste – sie sind vom Aussterben bedroht. Das heißt, dass fast die Hälfte aller aktuell gesprochenen Sprachen bald möglicherweise nicht mehr an die nächsten Generationen weitergegeben wird. Grund genug, der Frage nachzugehen, warum manche Sprachen eigentlich aussterben, während andere überleben und welche Charakteristiken „tote“ von lebenden Sprachen unterscheiden.
Wie so oft, lohnt es sich, erst einmal einen Blick auf die Definitionen zu werfen: Lebende Sprachen sind solche, die noch aktiv von einer Gemeinschaft gesprochen und weiterentwickelt werden. Aussterbende Sprachen hingegen werden meist nur noch von einer kleinen, oft alternden Bevölkerungsgruppe als Erstsprache gesprochen und im Laufe der Zeit nicht mehr an die jüngeren Generationen weitergegeben.
Tote Sprachen hingegen haben keine Muttersprachler:innen mehr und werden im Alltag nicht mehr gesprochen. Das heißt aber nicht, dass sie ganz verschwunden sind. In vielen Fällen zeichnen sich tote Sprachen durch einen gewissen Grad an „Nachleben“ aus: Sie werden in akademischen, religiösen oder rechtlichen Kontexten weiterhin gelesen, studiert und erforscht.
Der Ausdruck „tote Sprachen“ ist deshalb auch etwas umstritten, denn diese Sprachen sind in gewisser Weise noch immer lebendig – in unseren Büchern, unserer Kunst, in der Wissenschaft und sogar in den noch lebenden Sprachen, die etymologische Spuren ihrer „toten“ Vorfahren tragen.
Liste ausgestorbener Sprachen und die Gründe für ihren Tod
Bevor wir uns genauer ansehen, welche Sprachen auf der Liste der toten Sprachen stehen, werfen wir einen Blick auf mögliche Gründe, die zum Tod von Sprachen führen können:
- Dominanz anderer Sprachen: Es kann vorkommen, dass eine Gemeinschaft dazu gedrängt wird, ihre eigene Sprache aufzugeben und eine andere zu übernehmen. Über Generationen hinweg kann dieser Druck zum Aussterben der Sprache führen. Geschichtlich gibt es zahlreiche Beispiele in denen beispielsweise Regierungen bestimmte Sprachen aus ideologischen und politischen Gründen versucht haben zu verdrängen. Das Verbot von Sprachen ist ein Phänomen, das weltweit zu beobachten ist.
- Urbanisierung: Die Bewegung von ländlichen zu städtischen Gebieten kann zu einem Verlust der sprachlichen Vielfalt führen, da Menschen im urbanen Raum dazu neigen, die dort dominanteren Sprachen zu übernehmen.
- Aussterben der Sprecher:innengemeinschaft: Ein Grund kann zudem sein, dass alle Sprecher:innen einer Sprache aufgrund von Ereignissen wie Krieg oder Naturkatastrophen sterben und somit niemand die Sprache weitergeben kann.
5 Beispiele für tote Sprachen
- Altgriechisch: Wie der Name schon sagt, war es die Sprache des antiken Griechenlands. Obwohl es keine Muttersprachler:innen mehr gibt, bleibt es durch seine erhebliche Rolle in der Philosophie, Wissenschaft und als Unterrichtssprache lebendig.
- Sumerisch: Sumerisch wurde im alten Sumer im südlichen Mesopotamien gesprochen und ist mit keiner bekannten Sprache verwandt. Es wurde im 2. Jahrtausend v. Chr. durch das Akkadische als Verkehrssprache abgelöst, blieb aber im Bereich der Bildung und Religion und durch Keilschrifttexte auf Tontafeln erhalten.
- Akkadisch: Die Sprache des Akkadischen Reiches hat den Grundstein für viele moderne semitische Sprachen gelegt. Es wurde in Mesopotamien rund um das 3. Jahrtausend v. Chr. gesprochen. Obwohl seine Rolle als Alltagssprache nach über zwei Jahrtausenden abnahm, bleibt es durch seine schriftlichen Überlieferungen auch heute noch präsent und wird in der modernen Forschung weiterhin erforscht.
- Phönizisch: Die phönizische Sprache, ein Mitglied der semitischen Sprachfamilie, war zwischen circa 1500 v. Chr. und 300 n. Chr. weit verbreitet. Die Phönizier:innen, bekannt für ihre extensiven Handelsnetzwerke und Kolonien, verbreiteten ihre Sprache und Kultur über große Teile des Mittelmeerraums. Das Phönizische begann an Bedeutung zu verlieren, als seine Sprecher:innen nach und nach zu dominanteren Sprachen wie dem Aramäischen und später dem Griechischen übergingen. Trotz des Verlusts seiner aktiven Sprecher:innen hinterließ das Phönizische dennoch nachhaltige Spuren in der Schriftgeschichte: Sein Alphabet, welches als Grundlage für viele moderne Alphabete dient, liefert noch heute einen wesentlichen Beitrag zur Linguistik.
- Gotisch: Eine ausgestorbene Sprache, die von den Goten gesprochen wurde. Sie ist eine der wenigen ostgermanischen Sprachen, von denen schriftliche Zeugnisse existieren. Eines der bekanntesten überlieferten Dokumente dieser Sprache ist der Codex Argenteus, der eine gotische Übersetzung von Teilen der Bibel enthält.
- Gallisch: Wurde in vielen Teilen Mitteleuropas, darunter Gebiete im heutigen Frankreich, Deutschland, in den Niederlanden, der Schweiz und Italien gesprochen. Es verlor seine vorherrschende Stellung nach der Romanisierung der gallischen Gebiete.
- Latein: Als Sprache des Römischen Reiches war es die erste europäische Sprache, die international verbreitet war. Aus ihr haben sich viele moderne romanische Sprachen wie Französisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch entwickelt. Manchmal wird argumentiert, dass Latein nicht wirklich „tot“ ist, da es in Bereichen wie dem Recht, der Medizin und Literatur weiterhin studiert und verwendet wird.
Was sind die Folgen?
Der Tot einer Sprache kann mit dem Verlust einer einzigartigen Perspektive auf die Welt gleichgesetzt werden. Jede Sprache hat eigene Begriffe, Geschichten, Lieder, Traditionen und Wissen, die über Generationen weitergegeben wurden. Wenn es keine Sprecher:innen mehr gibt, die sie sprechen und weitergeben können, dann können auch diese verloren gehen.
Heute existieren daher einige Initiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, das Sterben bedrohter Sprachen aufzuhalten. Sie dokumentieren die Sprache durch Aufnahmen, schriftliche Aufzeichnungen und Interviews mit den letzten Sprechenden. Einige bieten zudem Workshops und Sprachkurse an. In manchen Fällen wurden Sprachen auch wieder zum Leben erweckt. Ein bekanntes Beispiel ist Hebräisch.