Zu Beginn ist eine Begriffsklärung nötig: Linguistisch gesehen gibt es keine österreichische Sprache. Die österreichischen Mundarten gehören zu den sogenannten oberdeutschen Dialekten. Es werden also oberdeutsche Dialekte in Österreich gesprochen. In unserer Illustration kannst du außerdem die grobe Einteilung der verschiedenen Dialekte sehen. Im Folgenden gehen wir genauer auf die österreichischen Dialekte ein.
Was heißt Oberdeutsch und wie werden Dialekte in Österreich klassifiziert?
Als Maßstab für die Abgrenzung zum Niederdeutschen gelten keine politischen oder geografischen Grenzen, sondern in welchem Ausmaß die Landstriche von der zweiten oder hochdeutschen Lautverschiebung betroffen waren. Der Begriff meint einen sprachlichen Wandel, der sich zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert nach Christus vollzog. Er betraf vor allem die Konsonanten [p] (wurde zu [pf] oder [f]), [t] (wandelte sich zu [s] und [ts]) und [k] (wandelte sich zu [ch]). Die niederen Lande (Niederdeutsch) blieben von der zweiten Lautverschiebung weitestgehend unberührt, während die Dialekte der höheren Lande (Hochdeutsch) in verschiedenem Ausmaß betroffen waren. Anhand weiterer sprachlicher Merkmale und Unterschiede werden die hochdeutschen Mundarten noch weiter in Mitteldeutsch und Oberdeutsch gegliedert. Oberdeutsch wird grob gesagt in Süddeutschland, Österreich und Teilen der Schweiz gesprochen.
Musst du dir das alles merken?
Nein. Behalte aber in Erinnerung, dass die Kategorisierung der Dialekte nicht an Landes-, Gebiets- und Stadtgrenzen halt macht. Das heißt, dass geografisch inspirierte Namen nicht immer auf die heutigen geografischen Gebiete beschränkt sind. Andererseits sind manche Dialekte im Volksmund unter geografischen Namen bekannt, aber linguistisch anders klassifiziert. Was die Sprechenden „Tirolerisch“ nennen, würden Sprachforscher als bairische oder alemannische Dialekte einordnen, oder was als „Steirisch“ gehandelt wird, wäre linguistisch als Südbairisch oder Mittelbairisch einzuordnen.
Welche Dialekte werden in Österreich gesprochen?
Der Großteil von Österreich liegt im bairischen Dialektraum (bewusst geschrieben mit „ai“, benannt nach dem germanischen Stamm der Baiern). Dieser wird weiter untergliedert in ein mittelbairisches Areal (dieses umfasst Teile des Bundeslandes Salzburg, fast ganz Ober- und Niederösterreich sowie Wien), ein südbairisches Areal (Tirol, Kärnten sowie Teile der Steiermark) und ein dazwischen liegendes Übergangsgebiet (Teile des Bundeslandes Salzburg sowie der Großteil der Steiermark und des Burgenlandes).
Vorarlberg gehört dagegen zum alemannischen Dialektgebiet (benannt nach den Alemannen).
In wie viele Dialekte sich dieses alemannische Gebiet in Vorarlberg und die bairischen Räume nun genau aufgliedern, lässt sich objektiv nicht sagen, da es keine allgemeingültigen Kriterien dafür gibt, welche Merkmale in welchen Bereichen (Aussprache, Vokabular, Grammatik) einen eigenständigen Dialekt ausmachen.
Noch dazu befindet sich Sprache ununterbrochen im Wandel. Wo vor zwei Generationen noch zwei distinkte Dialekte in Österreich bemerkbar waren, wird heute vielleicht ein gemeinsamer Dialekt oder eine überregionale Sprachform gesprochen. Viele Faktoren können die Sprache und den Sprachwandel in einer Region beeinflussen – sei es der Einfluss durch die Medien, eine Stigmatisierung von Dialekten oder fehlende Praktikabilität von Dialekten, zum Beispiel in urbanen Schmelztiegeln, in denen Menschen verschiedener Herkunft miteinander kommunizieren. Manche betrachten Sprachwandel als Dialektsterben und bedauern ihn, wieder andere sehen dies als eine natürliche Entwicklung der Sprache.
Dialektsterben hin oder her, eins ist klar: In den österreichischen Städten hört es sich oft anders an als auf dem Land. Eine Stadt sticht hier besonders heraus …
Wienerisch – die besondere Wiener Art zu reden
Das Wienerische gehört zu den ostmittelbairischen Dialekten in Österreich, der – wie es der Name vermuten lässt –, in und um Wien gesprochen wird. Das Wienerische hat viele Merkmale, durch die es sich von anderen bairischen Dialekten unterscheidet. Bereits seit dem Spätmittelalter war Wien ein Völkergemisch, wodurch die Sprache der Stadt von zahlreichen Einflüssen geprägt wurde, teilweise aus nah verwandten Dialekten (wie dem Alemannischen oder dem Fränkischen), teilweise vom Jiddischen, teilweise von Gaunersprachen, teilweise von weiter entfernten Sprachen wie dem Türkischen, Französischen oder Englischen, um nur einige zu nennen. Zudem konnten sich viele mittel- und althochdeutsche Ausdrücke in abgewandelter Form in Wien länger halten als anderswo.
Aussprache – was hat es mit dem gedehnten Wiener [a] auf sich?
Der fränkische Einfluss brachte eines der auffälligsten Merkmale in den Wiener Dialekt: Die sogenannte Wiener Monophthongierung. Der Terminus bezeichnet das Phänomen, bei dem in der lautlichen Entwicklung des Wienerischen bestimmte Zwielaute (Diphthonge) zu einem einzelnen Laut angeglichen (monophthongiert) wurden. Daraus ergab sich das auffällige helle, etwas gedehnte Wiener [a]. Es entstammt zum einen dem mittelhochdeutschen [ei], das in den meisten bairischen Mundarten zum [oa] geworden ist, in Wien aber zu [a] wurde wie in [Sta] („Stein“) oder [I waaß] („Ich weiß“).
Wer jetzt gleich alle [ei]s oder [oa]s mit einem hellen [a] ersetzen möchte und dann denkt, das sei Wienerisch, ist allerdings auf dem falschen Pfad. Es ist wichtig zu wissen, dass im heutigen Standarddeutschen Wörter zwar gleich mit „ei“ oder „ai“ geschrieben werden, aber verschiedenen mittelhochdeutschen Ursprung haben können. Zum Beispiel kommt eine Variante des Wortes weiß (konjugiert vom Verb wissen) vom mittelhochdeutschen weiz und wird darum zu [waaß] monophthongiert. Die Farbe weiß kommt dagegen vom mittelhochdeutschen wîz und wird im Wiener Dialekt darum als [weiß] ausgesprochen.
Das helle [a] wird auch für das mittelhochdeutsche lange [ä] verwendet, wie in [Scha] („Schere“), [laa] („leer“) oder [Jager] („Jäger“). Wenn das Schriftdeutsche „au“ für das mittelhochdeutsche [uo] steht und wenn [m] oder [l] folgt, wird es ebenfalls als helles [a] gesprochen: [Bam] („Baum“), [Tram] („Traum“).
Die Grammatik des Wienerischen
Wie alle Dialekte weicht das Wienerische auch in der Grammatik von der Standardsprache ab. Eine Eigenheit könnte dabei besonders zu Verwirrungen führen: Die Wiener verwenden als Höflichkeitsform gerne Ihnen statt Sie. Sie sagen also zum Beispiel „Griaß Ihna“ statt „(Ich) grüße Sie“. Es kann auch beides in Kombination auftreten: „Kennan S’ Ihna vurstöll’n, dass …“ („Können Sie sich [Ihnen] vorstellen, dass …“). Verwirrungen sind also vorprogrammiert!
Der Wiener Wortschatz
Es ist unmöglich, hier eine vollständige Sammlung von Wiener Wörtern zu präsentieren. Wer unbedingt Beispiele will, findet hier eine kleine Auswahl.
Generell lässt sich sagen: Die multikulturelle Geschichte Wiens macht sich in seinem Wortschatz bemerkbar. Manche Entlehnungen sind noch recht offensichtlich, wie zum Beispiel die Tramway, also „Straßenbahn“, aus dem Englischen. Andere Begriffe wurden assimiliert und sind damit schwerer erkennbar, wie beispielsweise Tschick („Zigarette“), abgeleitet vom italienischen cicca. In Form von tschicken („rauchen“) wird es auch als Verb benutzt.
Auffällig ist außerdem die Wiener Vorliebe für den Diminutiv (also Verkleinerungen und Verniedlichungen), der durch ein angehängtes „-erl“ gekennzeichnet wird. Verkleinert werden kann so ziemlich alles, einige Nomen haben im Wienerischen nicht mal eine „große“ Entsprechung, wie etwa das Stamperl („Schnapsglas“) oder das Pantscherl („amouröse Affäre“).
Übertreibung und Bildhaftigkeit im Wiener Dialekt
Sprachliche Übertreibungen und bildhafte Gleichnisse sind ein Teil der Wiener Sprache. Also nicht alles zu ernst nehmen! Und wo wir gerade davon reden …
Der Wiener Schmäh
Dann gibt es da noch den Wiener Schmäh, den charakteristischen Wiener Humor, der in jeder Art der Kommunikation verwendet werden kann. Er ist schwer zu definieren; sarkastisch, arglistig, melancholisch, raunzend oder sogar boshaft und dabei doch lustig, freundlich und charmant. Er ist Ausdruck einer Lebenshaltung, die sich immer ein Augenzwinkern bewahrt und selbst unangenehmen Situationen und heiklen Themen eine humoristische Seite abgewinnt. (Selbst-)Ironie und Doppelbödigkeit sind zentrale Elemente des Wiener Schmähs und die Grenzen zwischen Ernst und Witz sind fließend. Verstanden? Oder noch nicht so ganz? Vielleicht ist und bleibt der Wiener Schmäh einfach eine Weltsicht, die für den Nicht-Wiener, vor allem aber für den Nicht-Österreicher, unverständlich bleibt …