Heißt es Bairisch, Bayrisch oder Bayerisch?
Eins vorab: Nein, wir haben uns in der Überschrift nicht verschrieben. Bairisch/Bayerisch gibt es mit „i“ und „y“. Wir meinen das mit „i“.
Das Bundesland Bayern wird natürlich mit „y“ geschrieben. Auch das Wort bayerisch (beziehungsweise bayrisch) ist im Duden festgehalten, wenn es darum geht, Bayern sowie etwas, das die Bayern betrifft oder aus Bayern stammt, zu beschreiben. Bayerisch ist also die geografische und politische Schreibweise.
Wenn es um die Mundarten geht, die in Bayern gesprochen werden, ist allerdings Bairisch/bairisch mit „i“ richtig. Das ist übrigens auch die ältere Schreibweise. Diese historische Schreibweise wurde 1825 durch König Ludwig I. ersetzt, der die Variante mit „y“ einführte, um das bayerische Staatsgebilde zu beschreiben. Nun haben wir also zwei Schreibweisen, um den politischen und sprachlichen bairischen/bayerischen Raum zu trennen – das ist auch notwendig, wie wir später noch erklären werden.
Allzu viel Kopf musst du dir darum allerdings nicht machen, denn auf Bairisch heißt Bairisch sowieso [Boarisch] – wie das kommt, erklären wir auch noch. Erst mal schauen wir uns aber an, was Bairisch eigentlich ist.
Was ist Bairisch und wo wird es gesprochen?
Die bairischen Dialekte (auch Bairisch, bairische Sprache oder Ostoberdeutsch genannt) sind ein Dialektverbund, das heißt eine Sammlung von etwa 60 Sprachvarietäten im Südosten des oberdeutschen Sprachgebiets. Wie alle Dialekte ist Bairisch nicht etwa eine „Ableitung“ oder „Verhunzung“ des Standarddeutschen. Vielmehr bilden verschiedene Dialekte und Varietäten – darunter auch Standarddeutsch – zusammen die deutsche Sprache. Der Unterschied zwischen Bairisch und Standarddeutsch ist allerdings größer, als der zwischen Dänisch und Norwegisch oder zwischen Tschechisch und Slowakisch. Bairisch ist also Teil des deutschen Sprachraums, aber es ist kein Dialekt des Standarddeutschen.
Innerhalb des Bairischen wird zwischen Nordbairisch, Mittelbairisch und Südbairisch unterschieden.
Wie so oft, wenn es um Sprachen geht, decken sich die sprachlichen und politischen Grenzen nicht. Bairisch wird natürlich in Bayern gesprochen – aber nicht überall in Bayern. Speziell sind die bairischen Mundarten in Oberbayern, Niederbayern, der Oberpfalz, dem östlichen Bayerisch-Schwaben, dem östlichen Oberfranken und dem südöstlichen Mittelfranken angesiedelt. Ansonsten sind im Bundesland Bayern auch fränkische und schwäbische Mundarten zu Hause.
Bairisch wird außerdem in Sachsen (im südlichen Vogtland), Österreich (im gesamten Land außer in der Gegend Vorarlberg und dem Bezirk Reutte in Tirol), der Schweiz (in Samnaun, Graubünden), Italien (unter anderem in Südtirol und Trentino), Ungarn (unter anderem in Ödenburg) und Tschechien (Böhmerwald) gesprochen.
Wie klingt Bairisch?
Wie klingt Bairisch? Das zu erklären, wäre in etwa so, wie Flämisch oder Holländisch erklären zu wollen – es gibt zu viele Unterschiede zum Standarddeutschen und zu viel Variation innerhalb des Bairischen, um es in einem einzigen Artikel herunterzubrechen.
Glaubst du nicht? Dann lasse dich von den folgenden – sehr spärlichen – Beispielen überzeugen:
- Im Bairischen gibt es den Genitiv nur noch in erstarrten Redewendungen.
- Das grammatische Geschlecht bei Nomen weicht teilweise vom Standarddeutschen ab.
- Die Zeitformen werden anders verwendet.
- Es gibt ein separates Höflichkeitspronomen in der direkten Anrede (vergleichbar dem deutschen „Sie“): Eana.
… und da haben wir die grammatischen Unterschiede noch lange nicht erschöpft und sind noch gar nicht bei den lautlichen angekommen!
Eine Abweichung vom Standard wollen wir hier ausführlicher besprechen. Einerseits, weil sie im Bairischen so markant ist. Andererseits, weil wir ja versprochen hatten, zu erklären, warum Bairisch auf Bairisch eigentlich [Boarisch] heißt: Das berühmte bairische [oa] statt [ei].
Warum heißt es auf Bairisch [oa] statt [ei]?
Die bairischen Vokale sind sehr markant. Außenstehenden mag die Aussprache willkürlich erscheinen, aber oft haben sich der Standard und der Dialekt einfach nur unterschiedlich von einem gemeinsamen Vorfahren, dem Mittelhochdeutschen, entwickelt. Zum Beispiel gab es im Mittelhochdeutschen die Doppelvokale [ie], [üe] und [uo]. Im Bairischen wurden sie zu den Doppelvokalen [ia] und [ua], im Standarddeutschen dagegen zu den einfachen Langvokalen [i], [ü] und [u]. Darum heißt es zum Beispiel auf Bairisch [liab], [griassn] und [Bruada] statt [lieb], [grüßen] und [Bruder].
Kommen wir nun zum bairischen Doppelvokal [oa]. Dieser ist aus dem Mittelhochdeutschen [ei] entstanden. Warum heißt es dann aber auf Bairisch [oans] und [zwoa], aber nicht [droa], sondern [drei]? Auch das ist historisch bedingt: Im Deutschen gibt es das ältere [ei], welches im Mittelhochdeutschen bereits ein [ei] war und somit von dem bairischen Lautwandel betroffen ist.
Es gibt aber auch ein mittleres/jüngeres [ei], das erst im Wandel zum Neuhochdeutschen aus dem mittelhochdeutschen langen [î] entstanden ist. Im Standarddeutschen fallen das ältere und jüngere ei in diesem Fall zusammen und so sehen [eins], [zwei] und [drei] gleich aus. Die Dialekte (unter anderem auch das Berlinerische: [eens], [zwee], [drei]) legen dagegen offen, dass es im Mittelhochdeutschen einen unterschiedlichen Stammvokal gab: [ei] für [eins] und [zwei], langes [î] für [drî].
Im Bairischen gibt es zusätzlich ein drittes, noch jüngeres [ei], das aus dem neuhochdeutschen Doppelvokal [eu/äu] entstanden ist. Dieses jüngste [ei] ist allerdings nicht in allen Mundarten ausgeprägt.
Zusammengefasst können wir also sagen:
- Altes [ei] (mittelhochdeutsch [ei]) wird zu bairisch [oa], der neuhochdeutsche Lautstand bleibt [ei] (vergleiche: [gloa] und [klein], [Stoa] und [Stein], [oans] und [eins]).
- Mittleres [ei] (mittelhochdeutsch [î]) ist sowohl im Standarddeutschen als auch im Bairischen zum [ei] geworden (es heißt also im Bairischen wie im Standdarddeutschen [weiß] und [drei]).
- Das junge [ei] existiert nur im Bairischen, im neuhochdeutschen Standard ist es [eu] (vergleiche [nei/neig/neich] und [neu], [deia] und [teuer], [Deifi] und [Teufel]).
„Quatsch! Ich hab noch nie jemanden Boarisch sagen gehört!“
Trotzdem lügen wir nicht! Im Falle von Sprache bestätigen Ausnahmen immer die Regel und Sprechende machen sowieso, was sie wollen. Zum Beispiel gibt es Wörter, die im Bairischen nie den Lautwandel von [ei] zu [oa] mitgemacht haben, obwohl sie es lautlich eigentlich müssten. Beispiele sind [Geist], [Fleisch] und [heilig]. Eine Theorie ist, dass sie durch ihren Gebrauch im Gottesdienst in ihrer alten Gestalt bewahrt wurden.
Wenn es um Bairisch und Boarisch geht, wurden die Laute erst fleißig gewandelt, in jüngerer Zeit beeinflusst nun aber die Schriftsprache die Aussprache – je nach Region, Alter und Geschlecht der Sprechenden und auch von Wort zu Wort unterschiedlich stark. So heißt es eben nicht mehr überall in Bayern Boarisch.
Stirbt Bairisch aus?
Ist der Unterschied zwischen Bairisch und Boarisch ein Beispiel dafür, dass das Bairische ausstirbt? Schließlich können Millionen von Touristen auf dem Oktoberfest die Einheimischen ziemlich gut verstehen, obwohl wir am Anfang gesagt haben, dass Bairisch und Standarddeutsch unterschiedlicher sind als Norwegisch und Dänisch! Generell muss gesagt werden: Ja, der Dialekt geht zurück, und zwar nicht nur der bairische, sondern alle. Die UNESCO hat 2009 die bairische Sprache als gefährdet und damit schützenswert eingestuft. Im Fall des Hessischen ist es schon so weit, dass dessen Sprechende eigentlich nur noch eine vom Dialekt eingefärbte Standardsprache sprechen. Dialekte werden oft als prollig, ungebildet und provinziell abgetan. Auch standardsprachliche Medien und die Freizügigkeit innerhalb Deutschlands tragen ihren Teil dazu bei, dass weniger Dialekt gesprochen wird, besonders von jüngeren Menschen und in Städten.
Mit mehr als 13 Millionen Sprechenden und einem Sprachraum von knapp 150.000 Quadratkilometern bildet das Bairische allerdings das größte zusammenhängende Dialektgebiet im mitteleuropäischen Sprachraum. Damit hat es bessere Chancen zu überleben als andere Mundarten.
Ein bisschen Bairisch zu lernen lohnt sich also …