Hessisch – ist Goethes Heimatdialekt eine ausgestorbene Mundart?

Gibt es Hessisch als Mundart überhaupt noch oder ist es schon ausgestorben? Und was ist das vermeintliche Hessisch, dass wir so gut aus dem Fernsehen und Radio kennen?
Hessische Fachwerkhäuser

Wie Hessisch klingt, wissen wir! Schließlich hört man es oft im Radio und Fernsehen, aus den Mündern von Badesalz, Mundstuhl, Bodo Bach und Maddin Schneider – oder etwa nicht? Wenn wir schon so provokativ fragen … Lasst uns also herausfinden, was sich wirklich hinter dem Hessischen versteckt.

Gibt es Hessisch überhaupt noch? Wenn Mundarten durch den Standard verdrängt werden …

Mit aus Hessen stammenden literarischen Größen wie Goethe und den Gebrüdern Grimm lässt sich vermuten, dass die hessische Art zu reden ihre Spuren in der deutschen Sprache hinterlassen hat. Und tatsächlich liegt Goethes Reimpaaren oftmals eine hessische Aussprache zugrunde, zum Beispiel wenn er schön – gehn, neigen – reichen und versuchend – Tugend reimt. Dennoch war bereits in Goethes Zeit zu erkennen, was sich bis heute fortsetzt: So wurde der junge Goethe von seinen Eltern zum Studieren nach Leipzig geschickt, und das nicht nur wegen besserer Bildungsmöglichkeiten, sondern auch, weil die sächsische Art zu sprechen im 18. Jahrhundert als vorbildlich galt – und Goethe sie sich aneignen sollte. Und obwohl die Gebrüder Grimm nicht nur als Märchenväter, sondern auch als Sprachwissenschaftler und Dialektforscher bekannt sind, wurde keines ihrer Märchen ursprünglich im nieder- oder nordhessischen Dialekt gedruckt.

Die Hinwendung zu einer Standardsprache gab es nicht nur unter den Bildungseliten. Bereits im 19. Jahrhundert (insbesondere in den nach 1866 von Preußen annektierten Gebieten) wurde in der Schule das damalige Standarddeutsch gesprochen. Diese Bildungspraxis geht einher mit dem Dialektschwinden in Deutschland und einer Stigmatisierung von Dialekt. So ist der hessische Dialekt nahezu erloschen, besonders in städtischen Ballungsräumen. Wie bei allen Dialekten bedienen sich ländliche Gegenden und ältere Sprechende häufiger des Dialekts.

Die heutige Umgangssprache Hessens ist damit also eher ein mundartlich gefärbtes Standdarddeutsch, welches sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat. Der sprachwissenschaftliche Ausdruck für diese Varietät ist neuhessischer Regiolekt. Neuhessisch steht der Schriftsprache näher als der hessischen Mundart, wird aber aufgrund der medialen Verbreitung außerhalb Hessens oftmals als „typische hessische Mundart“ angesehen. Darum wird es auch manchmal „Fernsehhessisch“ genannt.

Was ist „traditionelles Hessisch“?

Das traditionelle Hessisch bezeichnet eine Gruppe von Mundarten, die aufgrund lautlicher Merkmale als Mitteldeutsch klassifiziert werden. Ganz speziell ist es eine westmitteldeutsche Mundart, beziehungsweise ein rheinfränkischer Dialekt. Damit ist Hessisch unter anderem verwandt mit dem Ostfränkischen (das wird allgemein als der typische fränkische Dialekt angesehen) und dem Luxemburgischen.

Hessisch

Wo wird Hessisch gesprochen?

Bei den meisten Dialekten und Sprachen sind politische Grenzen viel schärfer gezogen als gesellschaftliche und sprachliche. Das heißt, dass sich die hessischen Mundarten nicht streng auf das gleichnamige Bundesland begrenzen. Hessisch wird zwar vorwiegend in Hessen, aber auch gebietsweise in Rheinland-Pfalz (Westerwald, Rheinhessen, Taunus), Nordrhein-Westfalen (Wittgensteiner Land) und Bayern (Bayerischer Untermain) gesprochen.

Wie klingt Hessisch?

Deutsche Dialekte werden nach lautlichen Merkmalen gruppiert. Diese Lautmerkmale beruhen auf historischem Sprachwandel: Während des sechsten bis achten Jahrhunderts nach Christus vollzog sich im deutschen Sprachraum die sogenannte zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung, bei der sich vom Süden her die Aussprache bestimmter Laute systematisch änderte. Die zweite Lautverschiebung betraf vor allem die Konsonanten [p], [t] und [k].

Das klingt erstmal sehr theoretisch, aber mit einigen Beispielen wird die zweite Lautverschiebung klarer:

  • [P] wurde zu [pf] oder [f]. Das Wort [appel] wurde zum Beispiel zu [Apfel], das Wort [schip] wurde als [Schiff] ausgesprochen.
  • Der Konsonant [t] wandelte sich zu [s] und [ts]. Sprechende im norddeutschen Sprachgebiet sagen bis heute weiterhin [dat], [wat] und [Water] wie vor der Lautverschiebung, während südlichere Sprechende [was], [das] und [Wasser] sagen.
  • Der [k]-Laut wandelte sich zum Reibelaut [ch], [ik] wurde zu [ich] und [maken] wurde zu [machen].

Merke: Das Hessische unterliegt der zweiten Lautverschiebung bezüglich [t] zu [s] und [k] zu [ch]. Der Übergang von [p] zu [pf]/[f] fehlt jedoch. Darum sagt man auf Hessisch wie in vergangener Zeit [Appel] statt [Apfel].

Sehr auffällig ist außerdem, dass zwischen stimmhaftem („summendem“) und stimmlosen („scharfen“) [s] beziehungsweise [sch] und auch zwischen [ch] und [sch] nicht unterschieden wird. Tendenziell werden alle diese Laute stimmhaft ausgesprochen, sodass beispielsweise zwischen [Kirche] und [Kirsche] kaum ein Unterschied zu hören ist.

Welches ist das wichtigste hessische Wort?

Hessisches Vokabular kannst du dir hier aneignen. Das wichtigste Wort sagen wir dir aber jetzt schon – zugegebenerweise sind wir, Babbel, da vielleicht etwas voreingenommen: babbele („reden“).

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