Ist dir aufgefallen, dass die meisten Bösewichte in Disney-Filmen einen englischen Akzent haben, während die Guten amerikanisches Englisch sprechen? Nein? Wie sollte es auch – denn schließlich wurden Akzente für die deutsche Version ja wegsynchronisiert. Aber warum eigentlich? Und wie wird in anderen Filmen mit Sprache – und in anderen Sprachen mit Filmen – umgegangen? Wir sehen es uns an.
Akzent oder Dialekt?
Bevor wir einen Blick auf Mundarten in Filmen werfen, müssen noch kurz zwei Begriffe geklärt werden: In der Sprachwissenschaft wird nämlich zwischen Akzent und Dialekt unterschieden. Der Begriff Akzent bezieht sich nur auf die Aussprache, während ein Dialekt auch das Vokabular und die Grammatik umfasst. Sowohl Akzente als Dialekte sind immer mit gewissen Klischeevorstellungen über Bildungsgrad, Intelligenz, Herkunft, sozialer Stellung und vielen anderen Faktoren verbunden. Genau diese Klischees machen sich einige Regisseure zunutze, wenn es darum geht, Charaktere und Atmosphäre zu kreieren.
Sag was, und ich sag dir, wer du bist.
So setzt der britische Regisseur und Drehbuchautor Guy Ritchie in seinem Film Snatch – Schweine und Diamanten (2000) den Cockney Dialekt dazu ein, einigen der Hauptcharaktere einen Working Class-Hintergrund zuzuschreiben: Die Filmfiguren machen nur den Mund auf und schon purzeln beim Zuschauer munter Assoziationen zum Thema Arbeiterklasse, mangelnde Bildung und zwielichtigen Gestalten durcheinander. Auch durch die Benutzung von Pikey, einer abwertenden Bezeichnung für einen Dialekt, der von Traveller-Gemeinschaften gesprochen wird, werden im Film einige negative Emotionen erzeugt.
Akzente gehen über die Grenzen der Realität hinaus
Tatsächlich sind Akzente so stark mit Assoziationen verbunden, dass sie auch dann noch funktionieren, wenn sie auf komplett fiktionale Welten übertragen werden: Zum Beispiel zieht sich durch Fantasy-Filme ein eindeutiger britischer Akzent. Vielleicht liegt es daran, dass für die Mehrheit der Amerikaner Großbritannien irgendwie eine „ferne, magische Insel“ ist, die statt in Europa genauso gut in Mittelerde, Avalon oder Narnia sein könnte. Vielleicht ist es auch der Fakt, dass es in den USA, Kanada, Australien und anderen englischsprachigen Ländern kein Mittelalter mit Schlössern oder Rittern gab. In jedem Fall sitzt der britische Akzent.
Ein Paradebeispiel dafür, englische Akzente einzusetzen, ist der HBO-Serienhit Game of Thrones. Hier wird alles sogar noch ein Stück weiter getrieben: Denn die Akzente der fiktiven Welt Westeros korrespondieren mit der sprachlichen Geografie Englands: So wird Eddard Stark, Lord von Winterfell und Wächter des Nordens, von Sean Bean gespielt, der mit seinem nordenglischen (genauer: Sheffielder) Akzent glänzt. Eddards Angetraute Catelyn ist hingegen aus den Flusslanden im Süden der fiktiven Welt Westeros, was ihre nordirische Darstellerin Michelle Fairley dazu bewegte, sich für die Rolle einen südenglischen Akzent anzueignen. Rose Leslie spielt Ygritte, eine der Wildlingsdamen aus dem tiefen Norden so überzeugend mit einem nordenglischen Akzent, dass ihr einheimischer Posh-Akzent in Interviews für jede Menge Verwirrung sorgt. Unglücklicherweise geht dem deutschen Publikum von dieser schauspielerischen Leistung einiges verloren. Im Deutschen wurden nämlich sämtliche Figuren der Serie ins Standarddeutsche synchronisiert.
Wenn der Standard über Logik triumphiert…
Das Phänomen des Akzente-wegsynchronisierens zieht sich durch fast alle Film- und Fernsehimporte in Deutschland. Tatsächlich scheinen wir Deutschen das amtliche, akzentfreie Hochdeutsch so gerne zu hören, dass ihm zugunsten sogar mangelnde Logik in Kauf genommen wird.
So geschehen in Quentin Tarantinos Film Inglourious Basterds (2009), in dem neben internationalen Stars auch viele deutsche Gesichter zu sehen waren. Der Film zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass in der Originalfassung Englisch, Französisch und Deutsch gesprochen wird – durch die Untertitel eine ungewohnte Leseübung für viele Amerikaner. Die deutschen Synchronregisseure fanden das wohl zu anstrengend und synchronisierten darum gleich mal das Englische weg. Die deutschen Szenen wurden der Konsistenz wegen ebenfalls nachsynchronisiert. So weit kein (großes) Problem – wenn sich nicht eine Szene genau darum drehen würde, dass Michael Fassbender in der Rolle eines britischen Spions Archie Hicox Deutsch spricht und in einer deutschen Kneipe durch seinen ungewöhnlichen Akzent enttarnt wird! Fassbenders Charakter redet sich damit heraus, dass er aus einem kleinen Dorf am Fuße des Piz Palü kommt, wo alle so sprechen. Dass sich die bezaubernde Diane Krüger in der Rolle der Bridget von Hammersmark für ihn verbürgt, hilft ihm sicherlich, denn sehr Schwizerdütsch klingt Fassbenders Akzent nicht gerade. In der deutschen Version von Inglourious Basterds ist die Szene etwas unverständlich, denn Fassbender wurde mit einem astreinen und akzentfreien Hochdeutsch synchronisiert und spricht damit wie alle anderen deutschen Charaktere eben auch.
Wie löst man den cineastischen Schlamassel?
Das Einebnen von Akzenten kann also offensichtlich zu Problemen führen – die Frage ist allerdings, wie man es umgehen könnte. Nun, in der Filmwelt gibt es natürlich einige schlaue Köpfe, die sich diesbezüglich auch schon Gedanken gemacht haben…
Lösung Nummer 1: Akzente einfach übernehmen!
Die erste und vielleicht offensichtlichste Lösung ist, Akzente mitzusynchronisieren. Natürlich ist das nicht immer ganz unproblematisch, denn hier kann vielen Leuten auf den Schlips getreten werden. Wo man sich das Übernehmen von Akzenten traut, ist daher meist in Kinderfilmen und Komödien, die unter dem Schutz der Narrenfreiheit stehen: Köche haben (in fast jedem Film, in dem sie auftauchen) einen französischen Akzent.
Der als Zorro verkleidete gestiefelte Kater aus den Shrek Filmen (2004, 2007 und 2011) lispelt sowohl im Deutschen als auch Englischen mit einem feurigen spanischen Akzent – sein deutscher Synchronsprecher Benno Fürmann hat den Akzent von Antonio Banderas, der dem Kater im Original seine Stimme leiht, übernommen. In Ich, einfach unverbesserlich (2010 und 2013) – ja, das ist der Film mit den Minions – wird mit dem osteuropäischen Akzent des Pro-/Antagonisten Gru das Klischee auf die Schippe genommen, dass „der Russe“ in amerikanischen Filmen immer der Böse ist.
Was aber, wenn sich Akzente für die deutsche Synchronisation schlecht übernehmen lassen, weil zum Beispiel im Original ein deutscher Akzent zu hören ist, oder regionale Dialekte verwendet werden, die es selbstverständlich im Deutschen so nicht gibt? Dann gibt es immer noch die Möglichkeit, Mundarten zu „übersetzen“.
Lösung Nummer 2: Akzente „übersetzen“
Wieder einmal sind Komödien und Kinderfilme hier vorne mit dabei: Bei den Simpsons wird der deutsche Schüler Uter kurzerhand zum Schweizer. Alternative Auflagen der Asterix Filme gehen sogar noch einen Schritt weiter und lassen die Gallier in regionalen deutschen Dialekten sprechen, während die Römer sich mit amtlichem Hochdeutsch ausdrücken. Hier wird also die gleiche Technik praktiziert, die auch in englischsprachigen Disney-Filmen angewendet wird: Die Guten klingen heimisch und vertraut, die Bösen irgendwie fremd.
Auch in My Fair Lady (1964) wurden Dialekte „übersetzt“. Da bei der Synchronisation sprachliche Unterschiede kaum vernachlässigt werden konnten (schließlich kreist die Handlung darum, Audrey Hepburns Rolle Eliza Doolittle „richtige“ Sprache beizubringen), musste man sich hier etwas überlegen. Während der Cockney Dialekt des aufsässigen Blumenmädchens im Deutschen mit dem Berliner Dialekt übersetzt wurde, wurden die Italiener kreativer: Der Charakter spricht dort einen Pseudo-Dialekt, der eine Mischung aus Napoletano, Pugliese und Romano ist.
Aber ist eine Übersetzung von Mundarten wirklich ein adäquates Mittel? Schließlich sind mit dem Cockney Dialekt zwar ähnliche, aber doch nicht die gleichen Assoziationen verbunden wie mit dem Berliner Dialekt. Eine mögliche Lösung hat sich die Synchronregisseurin der Komödie Bienvenue chez les Ch’tis (Willkommen bei den Sch’tis, 2008) ausgedacht – sie hat kurzerhand einen neuen Dialekt für das Deutsche erfunden.
Lösung Nummer 3: Neue Dialekte erfinden? Aber schischer!
Mit über 20 Millionen Kinobesuchern ist Bienvenue chez les Ch’tis (2008) einer der erfolgreichsten französischen Filme in Frankreich – auch in Deutschland wurde er positiv aufgenommen. Der Film handelt zum größten Teil von Vorurteilen der Südfranzosen gegen Nordfranzosen, die namensgebenden Ch’tis, die durch die gegenseitige Vertauschung von [s] und [sch] einen sehr speziellen Dialekt haben.
Die verantwortliche Synchronregisseurin und Synchronbuchautorin Beate Klöckner wollte hierfür keinen bestehenden deutschen Dialekt verwenden. Stattdessen erfand sie einen fiktiven Dialekt, der sich an den phonetischen Eigenheiten des Ch’ti orientiert. Hat sich der Aufwand gelohnt? Nach der Meinung vieler Kritiker schon – und auch der Bundesverband kommunaler Filmarbeit zeichnete die herausragende Filmsynchronisation und Untertitelung im Jahr 2009 mit dem Liliput-Preis aus. Außerdem erhielt Beate Klöckner 2010 den Deutschen Preis für Synchron in der Kategorie Herausragendes Dialogbuch.
Lösung Nummer 4: Im Zweifel einfach selbst machen
Die Italiener haben das Problem der Synchronisation dagegen eher mit der Holzhammer-Methode gelöst und Bienvenue chez les Ch’tis mit Benvenuti al Sud (Willkommen im Süden, 2011) einfach neu verfilmt.
Und wo wir gerade von Holzhammer-Methoden sprechen: Als das Problem der Synchronisation mit dem Tonfilm aufkam (in Stummfilmen konnten einfach Dialogkarten in anderen Sprachen eingeschoben werden), buchten manche Regisseure kurzerhand mehrere Gruppen Schauspieler, die den gleichen Film am selben Set in unterschiedlichen Sprachen spielten. Wie du siehst, gibt es also allerhand Lösungen, um die Originaldialekte und -akzente nicht einfach zu übergehen …
Werden wir also in Zukunft viele Akzente und Dialekte in Filmen hören?
Schön wäre es, aber wahrscheinlich ist es nicht: Denn wir Deutschen mögen Akzente und Dialekte inzwischen so wenig, dass wir sie selbst in deutschen Filmen nicht mehr einsetzen: Goodbye Lenin (2003) dreht sich zwar explizit um den Fall der Berliner Mauer, die Berliner Schnauze ist aber trotzdem kaum zu hören. Auch der Film Russendisko aus dem Jahr 2012, der immerhin von russischen Einwanderern nach Deutschland handelt, lässt einen russischen Akzent vermissen. Schauspieler Christian Friedel rechtfertigt dies damit, dass keine russischen Klischees erfüllt werden sollten. Überzeugendes Argument? Nun ja.
Was bleibt Fans von Sprachenvielfalt also übrig? Offensichtlich: Filme in der Originalsprache anzuschauen! So kannst du nicht nur Nuancen und Schauspieltalente der Originalfilme besser wertschätzen, sondern auch noch gleichzeitig deine Sprachkenntnisse erweitern!