Berliner Schnauze – die Kultsprache der Hauptstadt

Was ist die Berliner Schnauze: Dialekt, Metrolekt oder eine Lebenseinstellung? Wir nehmen die Berliner Art zu reden unter die Lupe.
Aussicht auf Berlin und Straße des 17. Juni

Berlin ist international für vieles bekannt: als Hauptstadt Deutschlands, als Stadt der Mauer und deren Fall als Sinnbild der friedlichen Wiedervereinigung, als Partymetropole, als Zentrum für Kultur und Kunst, als teilweise verlottertes, aber irgendwie liebenswertes Fleckchen Erde – arm aber sexy eben. Innerhalb von Deutschland kennen wir alle die Art und Weise, wie man in Berlin spricht: die berühmt-berüchtigte Berliner Schnauze. Die einen lieben sie, die anderen hassen sie.

Schon Goethe dachte über die Berliner:innen und ihren einzigartigen Dialekt nach:

In Berlin „lebt … ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten.“

– Johann Wolfgang von Goethe im Gespräch mit Eckermann, 4.12.1823

Aber was versteht man genau unter Berliner Schnauze? Schauen wir uns das genauer an.

Berliner Schnauze: Berliner Dialekt, der gar keiner ist

Berlin liegt zwar im mitteldeutschen Dialektgebiet, aber gesprochen wird hier trotzdem kein Dialekt. Wie, keen Dialekt? Wat is dit denn für’n Quaak?, möge jetzt der eine Leser oder die andere Leserin empört sagen. Immer mit der Ruhe! Wir behaupten ja nicht, dass in Berlin einwandfreies Standarddeutsch gesprochen wird. Erst mal, weil viele Berliner und Berlinerinnen zugezogen sind und daher nicht berlinern. Außerdem vermeiden viele Sprechenden den Dialekt, da diesem das Vorurteil anhängt, ungebildet und prollig zu klingen. Damit ist der Berliner Dialekt natürlich nicht allein.

Aber selbst die, die berlinern, bedienen sich dabei keines Dialekts im Sinne der sprachwissenschaftlichen Definition. Denn Berlinerisch (in der Wissenschaft heißt es übrigens Berlinisch) ist ein Metrolekt. Dieser Begriff bezeichnet eine Stadtsprache, die durch eine Mischung von Dialekten und Sprachen unterschiedlicher Herkunft entstanden ist. Berlinerisch ist also Mitteldeutsch, Niederdeutsch, Niederländisch, Jiddisch, Französisch, Polnisch und noch einiges mehr. In diesem Sprachmix setzen sich bestimmte Sprachen und Dialekte stärker durch als andere. Das Umland strahlte seit jeher auf Berlin aus. Und umgekehrt strahlte Berlin auf das Umfeld aus, weswegen heute mittlerweile auch in vielen umliegenden Gegenden berlinert wird.

Im Folgenden geben wir einen kleinen Berliner Sprachkurs. Alternativ kannst du auch gleich zur Diskussion über die Berliner Schnauze herunterscrollen!

Wie klingt Berlinerisch? 5 Merkmale der Berliner Schnauze

Was ist typisch für den Berliner Dialekt? Schauen wir uns das genauer an!

1. Typisch Berlinerisch: [j] statt „g“

Im Gegensatz zum Standard ist im Berlinerischen für ein geschriebenes „g“ oft ein [j] zu hören.

  • „gut“ wird zu jut
  • „egal“ wird ejal ausgesprochen

2. Lange Einzelvokale statt Doppelvokale

Eine zweite Auffälligkeit sind die Vokale. Viele Diphthonge (Doppellaute, die aus zwei Vokalen innerhalb einer Silbe bestehen) werden zu langen Monophthongen (einer Art gedehntem Einzelvokal):

  • „au“ wird zu [oo]: „Augen“ wird zu Oojen
  • „ei“ zu [ee]: „mein“ wird zu meen

Wie kommt es aber, dass Berliner eens und zwee, aber nicht dree Bier im Späti holen? Und wie kann es sein, dass sie sich koom mea uff’n Been’ halt’n könn’ und nich’ mea jerade loofen, wenn se zu viel sauf’n? Laut der Regel sollte das nämlich oof’n Been’ und soof’n heißen! Es steckt weder eine lallende Aussprache noch Schlampigkeit dahinter. Dieses Aussprachemuster ist, wie so oft bei vermeintlich „falscher“ Aussprache in Dialekten, eigentlich ganz regelmäßig. Die Aussprache richtet sich nach dem mitteldeutschen Ursprung des Worts, also der Sprachstufe vor dem Neudeutschen, das wir heute sprechen. Zum Beispiel hieß es im Mittelhochdeutschen „ein“ und „zwei“, aber „drî“. Und wenn wir uns erinnern, dass „ei“ zu [ee] wird, ist die Lautwandlung im Berlinerischen konsequent und bezieht „drî“ beziehungsweise „drei“ nicht mit ein.

3. Berlinerisch als Metrolekt zwischen Dialekten

Auch andere Abweichungen des Berlinerischen gegenüber dem Standard haben nichts mit schlechter Aussprache zu tun! Die dialektale Aussprache det, dit und wat sind nicht etwa Verhunzungen von „das“ und „was“. Die Berliner Aussprache ist in diesem Fall die ältere. Es hat sich nämlich während des sechsten bis achtenJahrhunderts nach Christus im deutschen Sprachgebiet vom Süden her ein Lautwandel vollzogen, der vor allem die Konsonanten [p], [t] und [k] betraf. Im Süden wandelten sich die Laute mehr, im Norden weniger oder gar nicht. Als mitteldeutscher Dialekt an der Grenze zum Niederdeutschen hat das Berlinerische die zweite Lautverschiebung in einigen Fällen nicht mitgemacht.

So heißt es in Berlin:

  • det und dit statt „das“
  • wat statt „was“
  • Appel statt „Apfel“
  • Kopp statt „Kopf“

4. [A] statt „(e)r“

Zudem wird in Berlin das „r“ vokalisiert, das heißt: wie ein [a] ausgesprochen. Das passiert im Standarddeutschen auch, aber in Berlin erscheint es manchmal besonders betont. Der Berliner sagt Vata, Mutta oder aledigt und ersetzt damit „(e)r“ konsequent durch [a].

5. [Ü] statt „i“

In Berlin werden Vokale gern gerundet. Zur Aussprache brauchst du gerundete Lippen, daher der Begriff gerundet artikulierte Vokale.

  • aus „Tisch” wird Tüsch
  • aus „Schiff” wird Schüff

Berliner Schnauze: Die Berliner Grammatik

Ein Dativ für (fast) alle Fälle!

Die Berliner Grammatik weicht zum Teil deutlich von der Standardsprache ab. Das trifft besonders auf die folgenden Beispiele zu:

  • Der Genitiv wird – wie im Rest von Deutschland auch – oft durch Präpositionalkonstruktionen ersetzt.
  • Akkusativ und Dativ werden kaum unterschieden. Oft wird universal der Dativ verwendet.

So heißt es in Berlin Ick lieb’ dia! – wenn überhaupt, denn Berliner und Berlinerinnen haben es ja bekanntlich mit der Herzlichkeit nicht so.

Adverbien, Adjektive? [Allet eene Suppe!]

Adverbien und Adjektive können wechselweise gebraucht werden, eine „geschlossene Tür“ wird zur zuen Tür.

[Bealin kann ooch süß!]

Verkleinerungsformen enden auf [-ken] oder [-sken]. Zum Beispiel könntest du das Berliner Ampelmännchen een kleenet grünet Män­ne­ken nennen.

Wichtige Berliner Vokabeln

Wie jeder Dialekt hat auch das Berlinerische zahlreiche eigene Vokabeln und Ausdrücke. Hier eine kleine Auswahl:

  • Kiez („Stadtteil“)
  • Pfannkuchen („Berliner, Krapfen“)
  • Buletten („Frikadellen“)
  • Icke („Ich“)
  • Stulle („belegte Brotscheibe“)
  • Späti („Kiosk, der lange auf hat“)
  • Schrippe („Brötchen“)

Und falls du dich fragst, was man in Berlin zur Begrüßung sagt – die folgenden Begrüßungen geben dir eine kleine Auswahl:

  • Tach!
  • Tachchen!
  • Juten Tach!

Haben wir es nun? Ist sie das, die Berliner Schnauze?

Die Berliner Schnauze ist nicht nur die Art, wie die Berliner:innen reden. Sie ist auch das, was gesagt wird und welche Lebenseinstellung dahinter steckt. Die Berliner Schnauze ist schwerer zu beschreiben, als auf erstem Blick geahnt. Berühmte Vertreter:innen der Berliner Schnauze – wie Heinrich Zille, Kurt Krömer, Felix Lobrecht oder die Ärzte – geben einen Eindruck davon, was sie ausmacht. Die Berliner Schnauze schließt rauen Humor ein und bedeutet brutale Ehrlichkeit, die oft auch ungefragt ausgesprochen wird. Berliner:innen wissen es besser und wollen, dass du das merkst. Meinen sie das böse? Ganz ehrlich: Oft nicht, aber manchmal schon. Es kommt wie immer auf die Person an. Manchen sitzt der Schalk im Nacken, manche sind einfach nur genervt, weil du mal wieder nicht schnell genug aus der S-Bahn ausgestiegen bist. Wir wollen nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass sich hinter jeder Berliner Schnauze ein großes Herz versteckt … mit Sicherheit versteckt sich aber hinter jeder Berliner Schnauze eine große Schnauze!

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