Italienisch klingt melodisch, Französisch charmant, Brasilianisch singend, und Spanisch ein bisschen wie das Staccato einer Maschinenpistole (zumindest auf der Iberischen Halbinsel). Deutsch wird oft als hart und kantig wahrgenommen, während das zur selben Sprachfamilie gehörende Schwedisch weich und unbeschwert wirkt. Aber woran liegt das?
Der Grund für diese unterschiedliche Wahrnehmung liegt nicht nur in den verschiedenen Lauten, sondern auch in Satzmelodie und Sprachrhythmus der jeweiligen Sprache. Denn die Sprachen unterscheiden sich neben Vokabular und Grammatik auch in der Art und Weise, wie Silben, Wörter und Satzteile betont werden. Aber was macht Sprachrhythmus aus und wie hilft er uns beim Verstehen? Hier bekommst du einen kleinen Einblick in einen oft vernachlässigten Aspekt von Sprache.
Sprachrhythmus – Die Definition
Der Rhythmus gehört zu den Eigenschaften von Sprache, die wir eher unbewusst wahrnehmen. Anders als bei Rechtschreibung oder Grammatik machen wir uns keine großen Gedanken darüber, wie wir Akzente und Pausen setzen. Dabei spielt der Rhythmus im frühkindlichen Spracherwerb eine entscheidende Rolle: Studien zeigen, dass bereits wenige Tage alte Säuglinge in der Lage sind, Sprachen mit unterschiedlichem Rhythmus zu unterscheiden, obwohl sie kein Wort verstehen. Rhythmus ist die erste Eigenschaft von Sprache, die wir lernen. Er hilft uns, die einzelnen Wörter und Satzteile in einem Schwall gesprochener Sprache zu identifizieren.
Sprachrhythmus – Beispiele
Bei Rhythmus denken die meisten wahrscheinlich zuerst an Musik. Tatsächlich spielen viele Faktoren, die musikalischen Rhythmus ausmachen, auch für Sprachrhythmus eine Rolle.
Die Taktart: Akzentsetzung
Neben der Geschwindigkeit sind die Regeln, nach denen Silben betont werden, für die rhythmische Struktur maßgeblich. Manche Sprachen wie das Polnische oder Türkische haben einen festen Wortakzent, bei dem jedes Wort immer auf derselben Silbe betont wird. Im Deutschen und Englischen gibt es einen freien Wortakzent, wobei der Akzent auf verschiedene Silben fallen kann. Im gesprochenen Französisch erhält nur die letzte Silbe eines Satzes eine Betonung.
Die Noten: Silbendauer
Auch die Dauer der einzelnen Noten bildet in der Musik den Rhythmus. Bei der Sprache sind es die Silben. In Sprachen wie Spanisch und Italienisch werden betonte und unbetonte Silben mehr oder weniger gleich lang ausgesprochen, während im Englischen und Deutschen betonte Silben länger und unbetonte kürzer gesprochen werden.
Der Aufbau: Silbenstruktur
Auch die Struktur der Silben beeinflusst den Sprachrhythmus. Im Englischen und Deutschen finden wir komplexe Silbenstrukturen, während im Italienischen und Spanischen offene Silben dominieren, die einfacher und schneller zu artikulieren sind.
So hilft uns Sprachrhythmus beim Verstehen
Der Rhythmus einer Sprache hat eine wichtige Funktion: Er hilft uns, Gehörtes in Sinneinheiten zu gliedern und schneller zu verarbeiten. Gesprochene Sprache muss segmentiert werden, und es gibt je nach Sprache Markierungen im Redefluss, auf die Zuhörende unbewusst achten.
Im Türkischen markiert der Wortakzent das Ende eines Wortes. Im Englischen zeigt eine betonte Silbe den Beginn eines neuen Bedeutungswortes an. Im Französischen wird das Ende einer Äußerungseinheit mit einer betonten Silbe hervorgehoben. Im Deutschen helfen bestimmte Konsonantenverbindungen, um Wortenden zu signalisieren.
Sprachrhythmus und Sprachenlernen
Beim Erlernen einer neuen Sprache kann uns unser „rhythmischer Schlüssel“ Schwierigkeiten bereiten. Der Rhythmus unserer Muttersprache wird unbewusst in die neue Sprache übertragen, was zu einem starken Akzent oder sogar zu Unverständlichkeit führen kann. Selbst fortgeschrittene Lernende haben oft Probleme, den Rhythmus ihrer neuen Sprache zu beherrschen.
Um den Rhythmus einer anderen Sprache effizient zu erlernen, solltest du dich dieser Sprache viel aussetzen: Höre Podcasts, schaue Serien oder suche gezielt nach Videos zur Aussprache. Achte bewusst auf die rhythmischen Eigenschaften der Sprache und übe diese ein:
- Wie werden Akzente gesetzt? Auf jedem Wort? Auf manchen Wörtern? Nur am Ende eines Satzes?
- Was passiert mit unbetonten Silben? Werden diese genauso lang ausgesprochen wie betonte? Oder verkürzen sich Vokale in unbetonten Silben oder fallen sogar ganz weg?
- Was passiert mit Wortgrenzen? Werden Wörter klar voneinander abgegrenzt oder miteinander verbunden (wie bei der französischen Liaison)?
- Wo werden Pausen gemacht?
Das Ganze ist noch wirksamer, wenn du dir diese Fragen auch für deine Muttersprache stellst und vergleichst: Was ist anders?
Die Vielfalt der Sprachen dieser Welt ist unermesslich – ebenso wie deren unterschiedliche Rhythmen. Beim Lernen einer neuen Sprache kannst du deshalb auch einiges über deine eigene Sprache lernen.