Ist Türkisch eine schwere Sprache? Diese Frage wird üblicherweise sehr unterschiedlich beantwortet. Das ist nicht weiter verwunderlich. Denn auf der einen Seite ist es keine indoeuropäische Sprache, sondern eine Turksprache und damit dem Deutschen sehr unähnlich. Lässt man sich aber auf sie ein und macht sich mit einigen der Regeln vertraut, erkennt man sehr schnell die Logik und Regelmäßigkeit der Sprache. Es gibt kaum Ausnahmen, und Regeln werden bereits nach kurzer Zeit verinnerlicht und ganz natürlich angewendet. Mit den folgenden Tipps wird es auch dir leichtfallen, die Sprache zu lernen.
Tipp 1: Ein Laut = ein Zeichen – Türkisch ist so einfach!
Türkisch hat eine Besonderheit, die das Lesen und Schreiben besonders einfach gestaltet, wenn man einmal das Alphabet gelernt hat: Jeder türkische Buchstabe entspricht nämlich genau einem Laut – und umgekehrt. So ist zum Beispiel das türkische „s“ immer stimmlos (wie im deutschen Wort Kurs), auch am Wortanfang, zum Beispiel in simit („Sesamring“), und das türkische „z“ immer stimmhaft wie das deutsche „s“ in sagen. Umgekehrt kann ein Laut nur einem Buchstaben entsprechen. Das deutsche [sch] (ein Laut, drei Zeichen) entspricht zum Beispiel dem türkischen [ş] (ein Laut, ein Zeichen). Da sich das [x] aus zwei Lauten zusammensetzt, nämlich [k] + [s], wird es im Türkischen mit ebendiesen auch wiedergegeben, wie in dem Wort taksi („Taxi“).
Ein weiterer Vorteil ist, dass Türkisch seit der Sprachreform durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahre 1928 auch das lateinische Alphabet verwendet. So musst du kein komplett neues Alphabet erlernen, sondern beherrschst einen Großteil schon. Und wie man den Buchstaben „ş“ ausspricht, hast du jetzt auch gelernt. Nun bist du an der Reihe: Was verbirgt sich wohl hinter den Wörtern şinitsel, şoför, mayonez, kokteyl, müzik oder mikser? Mit Internationalismen kannst du sehr gut lesen und schreiben üben!
Tipp 2: Keine Artikel und keine Geschlechter – Türkisch ist so ökonomisch!
Das gibt es im Türkischen nicht, der und die auch nicht. Du sparst also Zeit und Nerven beim Erlernen neuer Wörter, da du keine Artikel mitlernen oder Geschlechter unterscheiden musst. Auch eine Geschlechtertrennung bei den Personalpronomen er, sie und es ist nicht vorhanden. Das Pronomen o wird für alle drei verwendet – und das kann sogar weggelassen werden. Im Türkischen wird die Person durch die Verbendung angegeben und Personalpronomen sind nur notwendig, wenn sie extra betont werden sollen, zum Beispiel Top oynuyor. („Er spielt Ball.“) – O top oynuyor.* („Er spielt Ball.“). Sonst können Sätze schnell unnatürlich klingen.
Keine Artikel, keine Geschlechter, keine Pronomen … ach ja, und keine Mehrzahlform bei Mengenangaben mit Zahlen. Es ist schließlich einleuchtend, dass es sich bei fünf Äpfeln um mehr als einen handelt. Das Nomen bleibt einfach in der Einzahl, denn sonst wäre es doppelt gemoppelt: bir elma („ein Apfel“) – beş elma („fünf Apfel“).
Tipp 3: Die Satzstellung und die Zahlen – Türkisch ist so „andersrum“!
Die meisten indoeuropäischen Sprachen wie das Deutsche haben die Satzstellung Subjekt – Verb – Objekt (SVO): Ali (Subjekt) – spielt (Verb) – Ball (Objekt). Die Satzstellung im Türkischen ist dagegen Subjekt – Objekt – Verb (SOV), also „Ali Ball spielt.‟ (Ali top oynuyor.). Das Verb steht am Satzende. Um Texte schneller zu verstehen, suchst du einfach das Verb des Satzes und schlüsselst den Satz dann von hinten auf. So ersparst du dir das lange Grübeln und der Sinn ist schnell erfasst.
Apropos „andersrum“: Anders als im Deutschen werden Zahlen von links nach rechts gelesen, also eigentlich richtigrum. Die Zahlen sind sehr regelmäßig. Hast du einmal die Einer- und Zehnerstellen sowie die Wörter für „hundert“ (yüz), „tausend“ (bin) und so weiter gelernt, kannst du alle Zahlen bilden. 10 ist zum Beispiel on. Dahinter stellst du einfach die Zahlen 1 bis 9 und schon hast du alle Zahlen bis 19. Genauso funktioniert die Bildung aller weiteren Zahlen – und zwar ohne Ausnahmen: 2315 = iki („zwei“) bin („tausend“) üç („drei“) yüz („hundert“) on („zehn“) beş („fünf“).
Tipp 4: Agglutination – Türkisch ist so logisch!
Türkisch ist eine „agglutinierende“ Sprache, was so viel bedeutet wie „aneinanderklebend“. Es werden Endungen an Wörter angehängt, um die Mehrzahl zu bilden, die Vergangenheit auszudrücken, Personen oder Fälle anzugeben, Verben zu verneinen und sehr vieles mehr. Das Hauptwort verändert sich dabei nicht. Hier ein Beispiel: Evdeyiz. Was dieses Wort bedeutet, fragst du dich? Es ist kein Wort, sondern ein ganzer Satz, ein Hauptwort mit Endungen, die verschiedene Funktionen erfüllen. Ev bedeutet „Haus“. Daran hängt die erste Endung -de. Diese entspricht dem Lokativfall. Keine Sorge, es klingt komplizierter als es ist. Da es im Türkischen keine Präpositionen gibt (wie in, bei, auf und andere) werden mehr Fälle als im Deutschen benötigt. Der Lokativ ist der „Wo-Fall“. Man verwendet also immer, wenn man angeben möchte, wo sich jemand oder etwas befindet, die Endung -de. Unser Beispiel evde bedeutet also „im Haus“ beziehungsweise „zu Hause“. Die nächste Endung ist die Personalendung für die erste Person Mehrzahl -yiz. Der Satz Ev-de-yiz. bedeutet also „Wir sind zuhause“. Wie oben erwähnt verwendet man Personalpronomen nur zur Betonung. Deshalb ist das „wir“ (biz) hier nicht vorhanden. Und das Verb „sein“ wird über die Personalendungen wiedergegeben.
Auch wenn es zu Beginn ungewohnt erscheinen mag, wirst du sehen, wie schnell du ein Gefühl dafür entwickelst. Kennst du erstmal die Regeln und die Bedeutung der verschiedenen Endungen, lassen dich selbst Sätze wie Arkadaş-lar-ımız-da-yız („Freund-e-unsere-bei-wir sind.“ = „Wir sind bei unseren Freunden“) völlig unbeeindruckt.
Tipp 5: Die Vokalharmonie – Türkisch ist so harmonisch!
Damit Wörter nach dem Ankleben so vieler Endungen immer noch schön klingen, folgen sie den Regeln der Vokalharmonie. Die Vokalharmonie zieht sich durch die gesamte türkische Grammatik. Sie dient der Erleichterung der Aussprache. Denn türkische Wörter besitzen meist nur vordere Vokale (also die, die vorne im Mund gesprochen werden: [e], [i], [ö], [ü]) oder nur hintere Vokale (die, die hinten im Mund gesprochen werden: [a], [ı], [o], [u]), die jeweils näher beieinanderliegen und so die Aussprache natürlicher machen. Die Vokale der Endungen passen sich den Vokalen des Hauptwortes an.
Es gibt zwei Regeln: die kleine Vokalharmonie und die große Vokalharmonie. Endungen, die sich nach der kleinen Vokalharmonie richten, haben zwei Formen, wie zum Beispiel die Lokativendung. Sie lautet -de, wenn der letzte Vokal des Bezugswortes einer der vorderen Vokale [e], [i], [ö] oder [ü] ist, wie bei Berlin’de * („in Berlin“). Und *-da, wenn der letzte Buchstabe im Wort ein hinterer Vokal ist, also [a], [ı], [o] oder [u] wie bei İstanbul’da („in Istanbul“). (Das „i ohne Punkt“, „ı“, ist übrigens ein extra Vokal im Türkischen, der sehr weit hinten im Mund gesprochen wird, ähnlich wie das [e] in Garten. Um es bei der Großschreibung nicht mit dem großen „i“ zu verwechseln, hat das „i mit Punkt“ auch bei der Großschreibung immer einen: „İ“.)
Bei der großen Vokalharmonie haben Endungen vier verschiedene Formen. Je nachdem, welche Vokale ihnen vorangehen, folgen die Endungen mit [ı], [i], [u] oder [ü]. Und so lassen sich auch die für das deutsche Ohr sehr häufig vorkommenden „ü“s erklären. Nehmen wir das Wort üzgün („traurig“). Mögliche Endungen für dieses Wort wären Personalendungen und die Fragepartikel, deren Vokale entsprechend der großen Vokalharmonie denen des Hauptwortes angeglichen werden. Und so entstehen Sätze wie Üzgünsünüz. („Ihr seid traurig.“) oder als Frage Üzgün müsünüz? („Seid ihr traurig?“). Und das Rätsel um die vielen „ü“s wäre damit gelöst!
Eine interessante Nebenbemerkung zu dem [ü]: Atatürk soll sich bei der Sprachreform, als er das arabische Alphabet durch das lateinische ersetzte, am deutschen Alphabet orientiert haben. Und auch wenn es das [ü] als Laut in anderen Sprachen gibt, so ist „u-Umlaut“ als Buchstabe aus dem deutschen Alphabet übernommen worden. Wer hätte das gedacht …?
Die gute Nachricht ist, dass man als Lernende:r die Vokalharmonie sehr schnell verinnerlicht. Verlass dich also einfach auf dein Gefühl und du wirst sehen, wie schnell du sie intuitiv anwendest, ohne über die Regeln nachdenken zu müssen! Und das gilt für die meisten Besonderheiten der türkischen Sprache!