Die Wissenschaft des Fluchens: Warum &@$! noch mal fluchen wir?

Was macht ein Wort zu einem Schimpfwort? Warum fluchen wir? Was passiert in deinem Kopf, wenn du eines der „schmutzigen“ Wörter verwendest?
Mann am Telefon am Fluchen, weil sein Bein gebrochen ist

Achtung: Dieser Artikel ist aufgrund der vielen Schimpfwörter absolut nicht jugendfrei. Aber man kann immerhin kein Omelett machen, ohne ein paar verdammte Eier aufzuschlagen, richtig?

▪️ „Die törichte und furchtbare Angewohnheit zu fluchen und zu schimpfen ist ein so niederes Laster, dass jeder Mensch mit Verstand und Charakter es verabscheuen und verachten sollte.“ – George Washington

▪️ „Mir wurde gesagt, ich sei vulgär. Dazu sage ich: Das ist Bullshit.“ – Mel Brooks

▪️ „Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“ – Götz-Zitat, auch bekannt als Schwäbischer Gruß aus Johann Wolfgang von Goethes Götz von Berlichingen

Egal, ob man wie George Washington strikt gegen Schimpfwörter ist oder wie Mel Brooks (und Goethe!) unverblümt seine Meinung sagt, kann man nicht leugnen, dass Schimpfwörter ein wichtiger Teil der menschlichen Kommunikation sind. Lassen wir also mal unsere Voreingenommenheit hinter uns und schauen uns Schimpfwörter aus nüchterner, wissenschaftlicher Perspektive an.

Was macht Schimpfwörter so schlimm?

„Schmutzige” Wörter

Damit ein Wort als Schimpfwort gilt, muss es beleidigend sein: Es muss eine kulturelle Grenze überschreiten, die ein Tabu darstellt. Schimpfwörter haben in der Regel ihren Ursprung in Tabuthemen. Das ist durchaus logisch. Wenn ein Thema Tabu ist, sollen auch die damit im Zusammenhang stehenden Wörter nicht benutzt werden. Bestimmte Themen sind fast überall tabu: Tod, Krankheit, Exkremente – du weißt schon, ekliges Zeug. Sex ist ein weiteres klassisches Tabu, wie das englische fuck, das italienische fanculo und das russische блядь zeigen.

Die beliebten Themengebiete für Schimpfwörter spiegeln oft kulturelle Unterschiede wider. Die Deutschen sind ziemlich entspannt, wenn es um Sex und Nacktheit geht, und verwenden daher nur selten Schimpfwörter mit sexuellem Bezug. Diese Wörter werden so selten geäußert, dass man regelrecht zusammenzuckt, wenn man sie hört. Folglich klingt „ficken“ für die meisten Deutschen viel schmutziger und übler als fuck für die meisten Englischsprechenden. Deutsche Schimpfwörter sind bodenständig und exkrementorientiert mit „Kacke!“, „Mist!“ und dem weltberühmten „Scheiße!“, das so oft verwendet wird, dass es mittlerweile ungefähr so harmlos geworden ist wie das englische darn it.

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Kontext

Abgesehen vom Themengebiet spielt auch der Kontext eine wichtige Rolle. Sex mag ein Tabuthema sein, aber nicht in einer Praxis für Gynäkologie. Wenn du versuchst, eine Person mit medizinischen Begriffen zu beleidigen, wird dein Opfer wahrscheinlich eher verwirrt sein: „Hast du mich gerade Kopfteil eines Fortpflanzungsorgans genannt?” Im Freundeskreis flucht man vielleicht ohne es wirklich ernst zu meinen, aber bei einem Vorstellungsgespräch würden dieselben Worte als schreckliche Beleidigung empfunden werden.

Blasphemie

Religiöse Begriffe, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, bilden eine weitere Kategorie von Schimpfwörtern: Blasphemie. So sind beispielsweise „Gott“, „Hölle“ und „Jesus Christus“ im Rahmen einer Predigt harmlos, können aber beleidigend sein, wenn sie während eines Wutanfalls gesagt werden. Das so genannte „liturgische Fluchen“ wird im französischsprachigen Kanada auf die Spitze getrieben. Wenn man richtig wütend ist, sagt man in Québec gerne Criss de calice de tabarnak d’osti de sacrament!, was wörtlich übersetzt so viel heißt wie „Christus des Kelches des Tabernakels der Hostie des Sakraments!“ Das mag auf Deutsch vielleicht zahm klingen, aber es ist das französisch-kanadische Äquivalent zu einer Menge englischer F-Wörter.

Die Macht des #&@% Fluchens!

Wie Antibiotika können auch Schimpfwörter bei übermäßigem Gebrauch ihre Wirkung verlieren. Das Kabelfernsehen überschwemmt unsere Wohnzimmer mit so vielen goddamns, shits, cocksuckers und motherfuckers, wie Tony Soprano und Al Swearengen eben aneinanderreihen können. Haben dich diese Wörter zusammenzucken lassen, oder hast du schon zu viel Fernsehen geschaut?

Es ist schwer zu sagen, ob die Zunahme des Fluchens im Fernsehen eine Zunahme des Fluchens in der Allgemeinbevölkerung widerspiegelt, oder ob das Fernsehen unsere Sprache „verdorben“ hat. Unabhängig davon ist das Ergebnis dasselbe: Immer mehr Menschen reagieren ziemlich abgestumpft auf diese Wörter – einige sind vielleicht sogar gänzlich immun dagegen. Tabus ändern sich, und das gilt auch für das Fluchen.

Einige Tabus verschwinden – das englische damn bedeutet nicht mehr so sehr wie früher „Verdammnis“ –, während gesellschaftliche Veränderungen neue Tabus mit sich bringen. So war es vor noch nicht allzu langer Zeit sozial akzeptabel, Menschen nach Ethnizität oder körperlichen Merkmalen zu klassifizieren und sie mit bestimmten Wörtern zu bezeichnen. Im Wandel der Zeit mit moderneren Ideen und Menschenrechtsbewegungen sind diese Begriffe nun aber ganz sicher tabu. Es kann sich aber auch eine entgegengesetzte Entwicklung vollziehen und Wörter können positiv umgemünzt werden. Sie können ihre Bedeutung um 180 Grad drehen, wenn sie innerhalb von Randgruppen wiederverwendet werden: das „N-Wort“ ist ein offensichtliches Beispiel, etwas weniger brisante Beispiele sind „queer” oder sogar „Nerd”.

Noch vor wenigen Jahren war das Wort „Nerd” beispielsweise negativ besetzt und bezeichnete unattraktive Zeitgenossen mit dicken Brillengläsern und blasser Haut, die ihre Zeit am liebsten vor dem Computer verbrachten. Nun gewinnen Serien über Nerds wie The Big Bang Theory Fernsehpreise, Nerd-Brillen werden sogar ohne Stärke als Modeaccessoire verkauft und die Nerd-Gemeinde hat sich das Wort zu eigen gemacht – und so bedeutet es heute schon lange nichts Abwertendes mehr.

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Warum fluchen wir?

▪️ „Unter bestimmten Umständen bietet das Schimpfen eine Erleichterung, die selbst dem Gebet verwehrt bleibt.“ – Mark Twain

1. Katharsis

Meistens ist das Fluchen eine emotionale Reaktion. Wenn wir frustriert, überrascht oder wütend sind, bietet das Fluchen ein emotionales Ventil. Experimente haben sogar gezeigt, dass Fluchen unseren Körper schmerzresistenter macht. Um dies zu testen, haben Forschende der britischen Universität Keele Freiwillige ihre Hand so lange in eiskaltes Wasser halten lassen, wie sie den Schmerz ertragen konnten. Sie fanden heraus, dass die Teilnehmenden ihre Hand im Durchschnitt 40 Sekunden länger im Wasser halten konnten, wenn sie ein Schimpfwort wiederholten, und sie waren gleichzeitig auch weniger schmerzempfindlich.

2. Beleidigung, Beschimpfung & Ausgrenzung

Schimpfwörter sind nicht notwendig, um jemanden zu beleidigen – ein einfaches „Du bist hässlich“ reicht in der Regel aus –, aber sie erhöhen den Gemeinheitsfaktor. Sie dienen auch als Wutkonzentrat: Warum sollte man jemandem erklären, dass man ihn hasst, wenn „Fick dich“ diesen verdammten Idioten mit nur zwei Worten in die Schranken weist?

Aber: Wenn du Leute beschimpfst, die dich nicht hören können (Autofahrer:innen, Sportler:innen im Fernsehen), lässt du nur Dampf ab, was dann in die vorherige Kategorie fällt.

3. Gruppensolidarität

Im Freundeskreis hat das Fluchen eine wichtige soziale Funktion: Der gemeinsame Wortschatz und das Brechen gesellschaftlicher Tabus sind eine Form des Zusammenhalts. Rituelle Beleidigungen unter Freund:innen sind keine Beleidigung, sondern ein Zeichen der Gruppenzugehörigkeit. In diesem Zusammenhang können „Arschgesicht“, „Schwachkopf“ und „Arschloch“ allesamt liebevolle Bezeichnungen sein. Menschen neigen dazu, in gleichgeschlechtlichen Gruppen von Gleichaltrigen und in einer entspannten Atmosphäre mehr zu fluchen. Am wenigsten wird geflucht, wenn die Lage wirklich angespannt ist.

Helen E. Ross untersuchte zu diesem Thema im Jahre 1960 das Fluchverhalten einer Gruppe von acht britischen Zoologen (fünf Männer und drei Frauen), die in der norwegischen Arktis arbeiteten und aufgrund des kontinuierlichen Sonnenlichts unter Schlafmangel litten. Das Ergebnis war überraschend: In leicht stressigen Situationen wurde wenig geflucht, während in Situationen, in denen die Forscher entspannt und glücklich waren, die meisten Schimpfwörter fielen. Bei gravierenden Stresszuständen waren gar keine Flüche zu hören. Schlimme Wörter waren in diesem Zusammenhang also ein Zeichen für Gruppenzusammenhalt.

4. Stil & Emphase

Wie jeder Stand-up-Comedian bestätigen kann, sind Schimpfwörter ein äußerst kraftvolles Werkzeug. In den meisten Fällen ist ein gut platziertes „Scheiße!“ die Zutat, die Blei in Comedy-Gold verwandelt. Man kann eine Aussage nicht nachdrücklicher machen, als wenn man ein Schimpfwort einfügt, wo ein schüchterner und besonnener Mensch ein langweiliges Adverb verwenden würde. Schimpfwörter verleihen ansonsten neutralen Sätzen Emotionen und Dringlichkeit.

Warum erregen Schimpfwörter unsere Aufmerksamkeit?

Für unser Gehirn sind Fluchwörter nicht einmal Worte – sie sind konzentrierte Gefühlsbrocken. Sie sind sogar in einem völlig anderen Teil des Gehirns gespeichert als jedes andere Wort, das wir kennen! Die formale Sprache wird in den Broca- und Wernicke-Arealen des Gehirns gespeichert. Schimpfwörter werden jedoch im limbischen System gespeichert: einem komplexen System neuronaler Netze, die unsere Emotionen und Triebe steuern.

Deshalb konnte ein Patient, der an einer schweren Aphasie (Schädigung des Sprachzentrums im Gehirn nach einem Schlaganfall) litt, immer noch „na ja“, „ja“, „jo“, „nein“, „verdammt noch mal“ und „Scheiße“ sagen – obwohl er sonst alle Sprachfähigkeiten verloren hatte. Er konnte diese Wörter sogar im richtigen Kontext produzieren, aber als er aufgefordert wurde, sie von einer Seite abzulesen, war er dazu nicht in der Lage.

Diese neurologische Erklärung hilft zu verstehen, warum sämtliche bisherigen Bemühungen, das Fluchen aus der Welt zu schaffen, gescheitert sind. Es ist genauso unmöglich, Wörter zu verbieten, die mit Gefühlen zu tun haben, wie die Gefühle selbst zu verbieten. Angesichts der Natur des Menschen wird das verdammt noch mal niemals funktionieren.

Wie der Fall von Patient R.N. illustriert, haben Schimpfwörter nun mal eindeutig einen besonderen Platz im Gehirn… und eben auch im gesellschaftlichen Leben! Wenn dich das nächste mal also jemand beleidigt, ärgere dich nicht. Mach dir statt dessen klar, dass die beleidigende Person dich mit einem speziellen, emotionalem Areal ihres Gehirns bedacht hat und dich durch die Verletzung sozialer Normen zumindest in beschränktem Maße als Teil der Gesellschaft anerkennt. Dann kannst du immer noch (zum Zwecke eigener Katharsis oder auch, um der Person die selbe Art von Wertschätzung entgegen kommen zu lassen) den Gefallen erwidern und herzhaft zurück fluchen.

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