Russland ist das flächenmäßig größte Land der Erde. Demnach ist es kein Wunder, dass russisches Essen sehr verbreitet und vielfältig ist. Die Küche in Russland wurde durch die politischen Epochen des Landes geprägt: Die Vorliebe des zaristischen Adels beispielsweise für die französischen Delikatessen sowie neue Handelswege nach West und Ost beeinflussten die landestypische russische Kost. Zudem wirst du beträchtliche regionale Unterschiede zwischen den Gerichten schmecken. Das ist ebenfalls kaum verwunderlich, wenn du dir vor Augen führst, dass beinahe hundert verschiedene Völker und Anhänger diverser Religionen auf dem Gebiet der Russischen Föderation leben. Zur Zeit der Zaren und der Sowjetunion war das beherrschte Gebiet bekanntlich noch größer: Ehemalige sowjetische Staaten wie das heutige Georgien, Armenien oder Usbekistan prägen bis heute die kulinarische Landschaft Russlands. Viele der als typisch russisch geltenden Gerichte gehören zudem auch zum kulinarischen Gut anderer Länder. Eine Borschtsch (борщ) beispielsweise wirst du auch in der Ukraine, Polen, Litauen oder Belarus essen können.
Ein guter Ort für landestypisches russisches Essen sind öffentliche Kantinen, Stolowaja (столовая) genannt, die du zahlreich in russischen Städten findest. Begeben wir uns also auf einen kleinen Streifzug durch die Gerichte, die du einmal ausprobieren musst!
1) Buchweizengrütze – Gretschnewaja Kascha (Гречневая каша)
Das Wort Kascha bezeichnet in vielen slawischen Sprachen einen Brei aus Getreide. Beim Gretschnaja Kascha handelt es sich um Buchweizengrütze. Die Geschichte des Gerichts lässt sich bis zur Zeit der Kiewer Rus zurückverfolgen, also dem mittelalterlichen Großreich, das als Vorgängerstaat Russlands, der Ukraine und Belarus verstanden wird. Für dieses russische Essen werden die Buchweizenkörner im geschlossenen Topf weich gekocht und als Beilage zu Fleisch, Fisch und Gemüse verzehrt. Alternativ kannst du sie auch mit Milch und Zucker zum Frühstück süß genießen.
2) Rote-Beete-Eintopf – Borschtsch (борщ)
Diese berühmte Suppe aus Roter Beete ist wohl eines der bekanntesten Gerichte der osteuropäischen Küche, besonders beliebt als russische Vorspeise. Die Verbreitung beschränkt sich dabei keineswegs auf Russland: In Polen, der Ukraine, Belarus, Litauen oder Rumänien gehört sie (als Variante) ebenfalls auf die landestypische Speisekarte. Der Name Borschtsch leitet sich vom slawischen Namen des Krautes Bärenklau ab (Russisch: Борщевик), das im Mittelalter ein fester Suppenbestandteil war. Die russische Borschtsch besteht neben Roter Beete aus Zwiebeln, Kartoffeln, Tomaten, Karotten, Kohl und Rindfleisch, was alles zusammen langsam und lange gegart wird. Man sagt, eine gute Borschtsch solle so dicht und voller Gemüse sein, dass ein Holzlöffel im Kochtopf senkrecht stehen könne. Der Eintopf ist sehr nahrhaft und wärmend – das perfekte russische Essen für den unbarmherzigen Winter.
3) Krauteintopf – Schtschi (щи)
Verweilen wir noch ein bisschen bei den Suppen und wenden uns einem anderen Nationaleintopf zu: dem Schtschi. Ebenso wie die Borschtsch findet sich auch dieses Gericht nicht nur auf russischen Esstischen; in der Ukraine ist es ebenso beliebt. Hauptbestandteil des Eintopfes ist Weißkohl oder Sauerkraut, was in Fleischbrühe gegart wird. Serviert wird dieses russische Essen mit leckerer saurer Sahne.
Die Bedeutung des leicht säuerlich schmeckenden Schtschi geht aber weit über seine Bekömmlichkeit und Köstlichkeit hinaus! So schrieb einst der russische Historiker Wiljam Pochljobkin, seines Zeichens Experte für sowjetisches und russisches Essen:
4) Gefüllte Teigtaschen – Pirogge (пирог), Piroshok (пирожок)
Ein Klassiker der osteuropäischen Küche sind die in jedem Teil Russlands äußerst beliebten gefüllten Teigtaschen, nämlich Piroggen. Der Ursprung ihres Namens findest sich im Altslawischen: pir bedeutet „Festmahl“. In der russischen Sprache bedeutet пирог allgemein „Kuchen“. Das Wort Pirogge findet sich in Abwandlungen in allen west- und ostslawischen Sprachen, bezeichnet aber unterschiedliche Gerichte. So ist die russische Pirogge nicht zu verwechseln mit polnischen Pierogi, die gefüllte Nudeltaschen sind!
Russische Piroggen sind gebackene Hefeteigtaschen, die mit allem Erdenklichen gefüllt sein können: Fleisch, Fisch, Kartoffeln, Spinat, Kraut, Reis, Quark oder diverse Obstsorten – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch die Größe variiert: kleine und vollständig geschlossene dreieckige Gebäckstücke, aber auch größere, pastetenartige Kuchen. Zubereitet werden sie zu jeder Tageszeit. In Russland haben Piroggen lange Tradition, so wurden sie beispielsweise im 17. Jahrhundert in Reisetagebüchern gelobt und in Sprichwörtern verewigt. So heißt es in einer Redewendung über das russische Bauernhaus Isba:
Zu einer russischen Tradition gehört auch das Beurteilen der Qualitäten einer Ehefrau – und zwar an ihrer Fähigkeit des Piroggenbackens, wie sie am Tag nach der Hochzeit unter Beweis zu stellen hatte.
5) Russische Eierkuchen – Bliny (Блины)
Bei den dünn gebackenen Eierkuchen handelt es sich um eines der ältesten Gerichte der osteuropäischen Küche. Schon vor dem neunten Jahrhundert haben sich die alten Slawen am runden Teiggebäck erfreut. Der Singular blin (блин) findet sein deutsches Pendant im nur noch vereinzelt in Ostdeutschland gebrauchten Wort „Plinse“. Dort wurde es wiederum vom obersorbischen Wort plinc entlehnt. Auch der jiddische Name blintz geht darauf zurück.
Bliny werden gefüllt und gerollt oder mit Aufstrich verzehrt. Besonders beliebt sind Butter, Marmelade, gesüßte Kondensmilch oder Quark, aber auch Fleisch, Kaviar oder gesalzener Fisch. Bliny werden das ganze Jahr über gern und viel gegessen. Diese Schlemmerei erreicht ihren Höhepunkt während der Masleniza (Масленица): Bei diesem einwöchigen Fest vor Beginn der orthodoxen Fastenzeit sind Bliny ein fester Bestandteil des kulinarischen Programms.
6) Gefüllte Nudeltaschen – Pelmeny (пельмени)
Pelmeny ähneln kleinen Maultaschen mit Fleischfüllung, die in Salzwasser oder Brühe gekocht werden. Sie werden entweder als Suppeneinlage serviert oder als Hauptgericht mit saurer Sahne verzehrt. Diese vielfältigen Nudeltaschen sind ein beliebtes russisches Essen und auch über die Landesgrenzen hinaus als Nationalgericht bekannt. In Russland selbst kannst du übrigens auch das georgische Pendant Chinkali oder die usbekischen Manti verköstigen.
7) Russischer Kartoffelsalat – Salat Olivier (Салат Оливье)
In den 1860er Jahren betrieb der französische Koch Lucien Olivier im russischen Zarenreich ein Restaurant in Moskau. Spezialität dieses Lokals: ein Salat bestehend aus dem Fleisch wilder Haselhühner, schwarzem Kaviar, gekochten Flusskrebsen, hartgekochten Eiern und Kapern mit einer speziellen, nur dem Chef selbst bekannten Soße. Die Originalrezeptur nahm der Erfinder mit ins Grab. Der Verbreitung des (nachgemachten) Salats tat das keinen Abbruch. In der Sowjetzeit wandelte sich die einstige Spezialität zum Festtagsessen – und ist somit typisch russisch. Zutaten wurden verändert, der Name des Erfinders blieb. Heute wird der Salat auch ohne festlichen Anlass zubereitet, die Rezeptur kann dabei variieren. Klassischerweise enthält er gekochte Kartoffeln und Karotten, Salzgurken, Hähnchenfleisch, hart gekochte Eier, grüne Erbsen und Salatmayonnaise.
8) Russischer Heringssalat – Hering unter dem Pelzmantel (Селедка под шубой)
Hinter diesem mysteriösen Namen verbirgt sich ein Schichtsalat, der traditionell zum Neujahrsfest verzehrt wird. Er besteht aus gekochten Kartoffeln und Karotten, Zwiebeln, hartgekochten Eiern und dem Hering. All diese Zutaten werden klein geschnitten und jeweils mit einer dünnen Schicht Mayonnaise als Zwischenschicht übereinander gestapelt. Ganz wichtig ist dabei, dass die oberste Schicht ganz der gekochten Roten Beete gehört. So erhält das Gericht seinen charakteristischen roten Pelz.
9) Eingelegtes Gemüse (квашеные овощи)
Tomaten, Paprika, Knoblauch, Pilze: Die russische Küche strotzt vor lauter eingelegtem Gemüse! Besonders beliebt ist die Salzgurke (солёный огурец). Die mittels Milchsäuregärung haltbar gemachten Gurken machen ihrem Namen alle Ehre, denn ihr Geschmack ist durchdringend salz-säuerlich! Dies liegt an der Salzlake, in der das Gemüse in Einmachgläsern luftdicht verschlossen gleichermaßen in Haushälten und Restaurants gelagert werden. Verwechsle die russischen Salzgurken aber nicht mit den in Deutschland erhältlichen Gewürzgurken, die stattdessen in gewürztem Essig eingelegt werden.
Wenn du nicht selbst Gemüse einlegen möchtest, wirst du auf einem der vielen Märkte fündig werden: Meist sind es Frauen mit bunten Kopftüchern, die hinter riesigen aufgestapelten Weckgläsern thronen und verschiedenste Arten von Eingelegtem anbieten.
Und zu guter Letzt: Salzgurken sind nicht nur Bestandteil vieler russischer Gerichte, sondern werden auch stets zum Wodka gereicht! In diesem Sinne stoßen wir auf die russische Küche an: Za zdorovje!