Die Geschichte der französischen Sprache ist illustriert von Vivien Mildenberger.
Hast du dich schon mal gefragt, wie eigentlich Französisch entstanden ist? Von den bescheidenen Anfängen bis hin zur offiziellen Anerkennung im Jahre 1539 gibt es einige Meilensteine, die den Weg der Entwicklung dieser romanischen Sprache pflastern. Hier erfährst du die bedeutendsten Wendepunkte in der Geschichte der französischen Sprache.
Das römische Gallien
Um die Geschichte der französischen Sprache zu verstehen, müssen wir zwei Jahrtausende in das Römische Reich zurückreisen. Nach Ende des Gallischen Krieges (zwischen 58 und 51 vor Christus) wurden die Gebiete südlich des Rheins zu römischen Provinzen. Dieser Wandel führte zur Entstehung von ersten menschlichen Ballungsräumen und ließ den Handel aufblühen, was die Beziehungen zwischen Galliern und Römern verbesserte. Fünf Jahrhunderte lang existierten gesprochenes Latein, auch Vulgärlatein genannt (von vulgus, lateinisch für „Volk“), und Gallisch, eine Sprache keltischen Ursprungs, nebeneinander.
Da Gallisch vorwiegend mündlich und nicht zur schriftlichen Kommunikation benutzt wurde, schwand es zunehmend in den romanisierten Gebieten im Süden. Schließlich ersetzte Vulgärlatein das Gallische als wichtigste Sprache der Region. Heute finden sich im französischen Standardwörterbuch Le Grand Robert gerade noch hundert Wörter gallischen Ursprungs. Die meisten von ihnen bezeichnen Dinge und Tiere wie zum Beispiel:
- char („Wagen, Karre“)
- bruyère („Heidekraut“)
- chêne („Eiche“)
- if („Eibe“)
- chemin („Pfad“)
- caillou („Stein“)
- ruche („Bienenstock“)
- mouton („Lamm“)
- tonneau („Fass“)
Die Geschichte der französischen Sprache: Stammvater der Franken
Im vierten Jahrhundert hatten sich mehrere Franken (Stämme germanischen Ursprungs) im Nordosten Galliens angesiedelt, wo sie in die römischen Armee integriert wurden. Auch nach dem Fall des Weströmischen Reiches blieben die Franken auf dem Territorium, auf dem das heutige Frankreich liegt. Zunächst wurden die Volksstämme dieser protofranzösischen Kultur unter König Clovis durch militärische Siege und die Unterstützung der großen galloromanischen Familien vereint. Diese politische Unterstützung begründete sich vor allem aus der Übernahme ihrer Sprache, Galloromanisch, sowie ihrer Religion, dem Katholizismus.
Aufgrund des germanischen Ursprungs der Franken veränderten sich Aussprache und Intonation der Sprache. Zusätzliche Laute wie [œ] in fleur („Blume“) und [ø] in nœuds („Knoten“) kamen hinzu, ebenso wie neues Vokabular. Der wichtigste Beitrag der Franken zum späteren Frankreich war jedoch zweifellos ihr Name.
Die politische Geburt des Französischen
Ende des achten Jahrhunderts hatte das dunkle Zeitalter dazu geführt, dass die Mehrheit der Bevölkerung keinen oder nur schlechten Zugang zu Bildung hatte. Dies bedeutete, dass die meisten Leute das Latein der Kleriker nicht mehr verstanden. Nach dem Konzil von Tours im Jahre 813 forderte Karl der Große, dass Priester ihre Predigten entweder auf „bäuerlicher romanischer Sprache“ oder auf theotisca (lateinisch für „Sprache des Volkes“, Vorläufer des Deutschen) halten sollten, damit alle Leute diese verstehen könnten. Die Entscheidung stellt die erste offizielle Anerkennung des Französischen (oder was später Französisch sein wird) als eine gesprochene Sprache dar. Die wahre Geburt des Französischen fand jedoch erst drei Jahrzehnte später statt.
Nach dem Tod von Karl dem Großen wurde sein Reich unter seinen Nachfahren aufgeteilt. Bald kam es zwischen seinen Enkeln Lothar I., Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen zu Spannungen, die letztendlich zum Krieg führten. Im Jahre 842 legten Karl und Ludwig einen Eid ab, sich im Krieg gegen Lothar gegenseitig zu unterstützen. Jeder von ihnen nahm eine Sprache an, die von den Truppen des jeweils anderen gesprochen wurde: Karl sprach Althochdeutsch und Ludwig Galloromanisch (Protofranzösisch). Die Straßburger Eide, die auf beiden dieser Sprachen und auf Latein schriftlich festgehalten wurden, gelten als Geburtsstunde des Deutschen und des Französischen. Obwohl das Protofranzösische in seiner damaligen Form dem Vulgärlatein immer noch sehr ähnlich war, stellt dieses Dokument seine erste offizielle Anerkennung als Schriftsprache dar.
Das Fränkische Erbe
Im zehnten Jahrhundert nahm die galloromanische Sprache hunderte verschiedene Formen und Dialekte an. Unter dem Einfluss der Franken entstand im Norden die Sprachgruppe der sogenannten Langues d’oïl („Oïl-Sprachen“), während der mehr unter romanischem Einfluss stehende Süden die Langues d’oc („Oc-Sprachen“) hervorbrachte. Benannt wurden die Sprachgruppen nach den beiden Aussprachevarianten oïl und oc, im heutigen Französisch oui („ja“). Zu den Langues d’oïl zählen unter anderem Picardisch, Wallonisch sowie mehrere Burgundische und Fränkische Dialekte. Die Gruppe der Langues d’oc beinhaltet Limousinisch, Auvergnatisch, Provenzalisch und die Languedokischen Dialekte. Diese sprachliche Zersplitterung hatte zur Folge, dass viele verschiedene Sprachvariationen gesprochen wurden, was sich später für die Geschichte der französischen Sprache als wichtiger Faktor herausstellen sollte.
Altfranzösisch (10.–13. Jahrhundert)
In Religion, Bildung und Recht war Latein nach wie vor die dominierende Sprache, aber mit der Zeit wurde auch die Volkssprache immer mehr für die schriftliche Kommunikation genutzt. Ende des elften Jahrhunderts begannen die Troubadoure ihre Gedichte in den Dialekten des Landes vorzutragen. So ist das Rolandslied auf Langues d’oïl verfasst, eines der symbolhaftesten Beispiele für die damalige Literatur.
Es muss wahrscheinlich nicht erwähnt werden, dass Altfranzösisch wie andere Volkssprachen seiner Zeit keine klaren Regeln hatte und daher eine beträchtliche Anzahl an Sprech- und Schreibvariationen aufwies. Aus diesem Grund gab es einzelne Bestrebungen, eine „Re-Latinisierung“ des Wortschatzes durchzusetzen. Im zwölften Jahrhundert war Frankreich sprachlich immer noch in Oïl- und Oc-Regionen unterteilt, aber schließlich verbreitete sich die Oïl-Variante aufgrund von königlichem Druck aus der Region Île-de-France in ganz Frankreich. Oïl wurde zu einem Machtwerkzeug und einem Symbol der Vereinigung.
Mittelfranzösisch (14.–17. Jahrhundert)
Im 14. und 15. Jahrhundert erlebte Frankreich seine dunkelsten Jahre: Die Schwarze Pest und der Hundertjährige Krieg rafften die Bevölkerung dahin. Die auf Mittelfranzösisch verfassten Texte von François Villon spiegeln diese turbulente Zeit sehr gut wider. Die Begriffe, die er verwendet, sind dabei für französischsprachige Lesende von heute schon ziemlich gut verständlich. Das liegt vor allem am Wegfall des Deklinationssystems, einer veränderten Wortreihenfolge sowie an anderen grundlegenden Änderungen, die an der Sprache vorgenommen wurden. Heutzutage finden Franzosen manche dieser Schreibweisen recht komisch (zum Beispiel doncques, pluye oder oyseaulx), aber zur damaligen Zeit galten sie als äußerst elegant. So war der Buchstabe „Y“ in Mode, während „K“ und „W“ – die als nicht lateinisch genug galten – weitgehend aus dem Buchstabeninventar entfernt wurden.
Mit dem Beginn der Renaissance und der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert nahm die Geschichte der französischen Sprache eine weitere Wendung. Um geschriebene Werke in großer Zahl verbreiten zu können, wurde es notwendig, sprachliche Regeln und Strukturen zu etablieren. In diesem Kontext wurde der Volkssprache erstmals Anerkennung zuteil: Das Edikt von Villers-Cotterêts erhob Französisch 1539 zur alleinigen Sprache für Rechtsangelegenheiten.
Die Re-Latinisierung
Um der französischen Sprache Legitimität und Unterscheidungskraft zu verleihen, wurde sie während der Zeit der Aufklärung re-latinisiert – wenn auch manchmal falsch! Das Wort doit wurde zu doigt („Finger“), abgeleitet vom lateinischen digitus, während pie zu pied („Fuß“) wurde (vom lateinischen pedis). Zur gleichen Zeit wurden Wörter, die als „barbarisch“ – also nicht aus dem Latein stammend – galten, systematisch aus dem Wortschatz getilgt.
Französisch als Lingua franca
Für Frankophile und Geschichtsstudierende mag es schockierend klingen, aber zur Zeit der Französischen Revolution sprachen weniger als die Hälfte der französischen Bevölkerung Französisch, und wiederum nur ein Bruchteil davon nutzte sie als Alltagssprache. Abgesehen davon erfreute sich Französisch bei den Eliten und höheren Gesellschaftsschichten einer wachsenden Beliebtheit: Es wurde an fast allen Höfen Europas gesprochen und gewann sogar auf anderen Kontinenten an Bedeutung. Durch den Einfluss in politischen und literarischen Kreisen wurde Französisch schließlich zur weltweiten Lingua franca (bis das Englische es schließlich ersetzte). Bis heute ist Französisch eine der am meisten gesprochenen Sprachen weltweit und seine Anziehungskraft ist ungebrochen groß.
Letzten Endes ist die Geschichte der französischen Sprache voller Widersprüche: Das Französische müht sich nahezu durchgängig damit ab, seine eigenen „Barbarismen“ loszuwerden, obgleich diese unweigerlich Teil seiner Identität sind. Die Betrachtung der Sprache enthüllt zugleich den Blick auf ein Frankreich, das im Laufe seiner langen Geschichte immer wieder zwischen seinen Einheitsansprüchen und der Realität seiner Vielfältigkeit zu zerreißen droht.