Ein Leitfaden für das komplexe Thema geschlechtsneutraler Pronomen

„They“ („sie”) als Singular wird von den führenden englischen Wörterbüchern und Styleguides bereits anerkannt. Wie ist das in anderen Sprachen?
"They" ist als geschlechtsneutrales Wort bereits von den führenden englischen Wörterbüchern anerkannt. Wie sieht es in anderen Sprachen aus?

Im Englischen wird im Vergleich zu anderen Sprachen ohnehin weniger gegendert. Die Nomen tragen keine männlichen oder weiblichen Artikel, und die Nutzung von „sie“ als Singular gibt es tatsächlich bereits viel länger als vielen Menschen bewusst ist – lange vor der Diskussion um geschlechtsneutralen Pronomen.

Der Ursprung der Nutzung von „sie“ als Pronomen im Singular (Artikel auf Englisch) reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück und findet sich in den Werken von Schriftstellern und Schriftstellerinnen wie Geoffrey Chaucer, Jane Austen und Lord Byron. Im 18. Jahrhundert nahmen sich Grammatiker unter dem Vorwand, dass die englische Grammatik die lateinische Grammatik widerspiegeln solle, der Sache an, und aus diesem Grund wurden englischsprachige Grundschüler bereits davon abgebracht, es zu nutzen. Wie wir wissen, wurde die Nutzung von „sie“ als Singular in der Umgangssprache jedoch nie aufgegeben. Das ist mit ein Grund, weshalb es neuerdings wieder an Zustimmung gewinnt, ob es nun in das Oxford English Dictionary aufgenommen, 2015 zum Wort des Jahres der American Dialect Society 2015 gekürt oder offiziell durch den AP Style Guide anerkannt wird.

In dem Maße, wie sich die Gesellschaft verändert, verändert sich auch die Sprache, um diese Entwicklung widerzuspiegeln.

Natürlich besteht der größte Unterschied zwischen dem 14. Jahrhundert und dem 21. Jahrhundert darin, dass geschlechtsneutrale Pronomen nicht mehr nur zur Beschreibung einer nicht spezifizierten Person genutzt werden, sondern ebenfalls zur Bestärkung der Identität von queeren, intersexuellen, nicht-binären und Transgender-Menschen.

„Ich hoffe, dass die Menschen beginnen zu verstehen, dass es hier nicht um die „Launen“ von manchen Menschen geht, sondern dass die Geschlechtsidentität entscheidend für die Persönlichkeit jedes Menschen ist“, erklärt Nicki Hinz von Babbels Didactics Team in einem Blogartikel. „Sie stellt unsere soziale Identität dar. In dem Maße, wie sich die Gesellschaft verändert, verändert sich auch die Sprache, um diese Entwicklung widerzuspiegeln.“

Diese Bewegung gibt es nicht nur in englischsprachigen Gemeinschaften, und einige Sprachen besitzen sogar neu geschaffene geschlechtsneutrale Pronomen. Sie decken dabei das ganze Spektrum von vollständiger Akzeptanz in den entsprechenden Gesellschaften bis hin zu „experimenteller Nutzung“ und „ziemlich akzeptiert“ ab – jedes einzelne bringt jedoch auch Kontroversen mit sich, und fast alle beinhalten ein Sternchen für zusätzliche Bemerkungen und Kontext.  

Kurz gefasst: Es gibt keinen wirklich einfachen Ansatz an geschlechtsneutrale Pronomen, aber wir geben unser Bestes, um dir eine vereinfachte Anleitung für inklusive Pronomen in anderen Sprachen vorzustellen.

Sieh dir unsere Infographik sowie einige sprachspezifische Anmerkungen für zusätzlichen Kontext an.

Wie andere Sprachen mit geschlechtsneutralen Pronomen umgehen

Deutsch

Im Deutschen setzt man sich gerade mit der Frage auseinander, ob es überhaupt möglich ist, das Hauptwort-System mit Artikeln in drei verschiedenen Geschlechtern neutral zu gestalten. Im Niederdeutschen gelingt dies allerdings nur, indem der, die, das durch de ersetzt wird. Was das Pronomen angeht, gibt es Deutsche, die sier und xier nutzen, doch die meisten Menschen verstehen dies eher nicht, wenn sie nicht gerade queer oder aktivistisch unterwegs sind.

Schwedisch

Das Schwedische ist wie das Englische halb-geschlechtslos, doch die relativ erfolgreiche Adaption von hen kann man als interessante Fallstudie ansehen. Der Nutzung von „hen“ als geschlechtsneutrales Pronomen stand man ursprünglich skeptisch gegenüber, als es in den 1960er Jahren eingeführt wurde – sogar Linguisten, deren größte Sorge darin bestand, dass nicht in jedem Fall ganz klar sein würde, worauf es sich bezog. Aber über die Zeit hinweg (und vor allem im neuen Jahrtausend) wurde hen als Pronomen für nicht-binäre Menschen gebräuchlicher, und nachdem es im Jahr 2012 eine große Medienaufmerksamkeit sowie eine nachfolgende Debatte gab, wurde es im Jahr 2015 in das schwedische Wörterbuch SAOL aufgenommen. Heute wird es in den Medien, im Parlament, in der Alltagssprache und sowie in offiziellen Texten genutzt. Viel wichtiger ist jedoch, dass beinahe jeder in Schweden dieses Wort versteht, und es nicht zu so viel Verwirrung geführt hat, wie es die Linguisten befürchtet haben.

Französisch

Im Französischen sind die geschlechtsneutralen Pronomen noch immer nicht offiziell definiert. Die in der Infografik aufgeführten Pronomen sind die geschlechtsneutralen Pronomen, die in der Community am meisten genutzt werden, doch verstehen diese relativ wenige Menschen außerhalb aktivistischer Bereiche.

Russisch

Das Russische ist eine weitere Sprache mit Geschlechtsformen, in der es kein etabliertes geschlechtsneutrales Pronomen gibt. Einige nicht-binäre Menschen in Russland nutzen das männliche „он“, da es in Einklang mit anderen Begriffen ist, die eher neutral sind, einige feministische Communities nutzen das weibliche als das Standardgeschlecht und trennen die weiblichen Endungen mit „_“ ab, wieder andere nutzen „они” („sie“). Eine weitere Möglichkeit ist das Hin- und Herwechseln zwischen männlichen und weiblichen Pronomen und Verb-Zeiten durch Nutzung des sächlichen „оно“ (das sich normalerweise nicht auf Menschen bezieht) oder durch die Erfindung neuer Verb-Endungen in der Vergangenheit. 

Spanisch

Der Schritt hin zu einem eher geschlechtsneutralen Spanisch hat in den letzten Jahren zu verschiedenen sprachlichen Erneuerungen geführt. Dazu gehören die Nutzung des @-Symbols als Alternative für die Endungen –o und –a. Die Nutzung von Latinx in Nord-, Mittel- und Südamerika als Alternative für Latino oder Latina hat seit kurzem richtig an Fahrt zugelegt sowie institutionelle Anerkennung erfahren, obwohl einige Kritiker behaupten, dass man dies eher in den USA als in Lateinamerika hört.  Die Nutzung von elle als geschlechtsneutrales Pronomen ist nicht sehr weit verbreitet; jedoch gibt es sicherlich ein wachsendes Interesse daran, neue Alternativen für Personalpronomen zu finden. 

Portugiesisch

Im Portugiesischen wird es immer normaler, die männlichen und weiblichen Endungen –o bzw. –a durch das geschlechtsneutrale –e zu ersetzen. Es scheint weder in Brasilien noch in Portugal ein allgemein bekanntes geschlechtsneutrales Pronomen zu geben, und Geschlechtsidentität wird selten durch eine ganz eindeutige Art ausgedrückt. Dennoch nutzen einige Mitglieder der schwulen männlichen Community absichtlich weibliche Pronomen für sich selbst, obwohl sie sich nicht als Frauen identifizieren. Oft wechseln sie willkürlich zwischen männlichen und weiblichen Pronomen, was Außenstehende verwirrt und die Grenzen einer binären Kategorisierung von Geschlecht und Sexualität in Frage stellt.  In Brasilien nutzen einige queere Menschen eine Art „Geheimsprache“ namens Pajubá, die sich aus Elementen der Yoruba-Sprachfamilie zusammensetzt. In diesen Sprachen spielt angeblich das Alter eine viel größere Rolle als das Geschlecht.

Italienisch

Leider gibt es im Italienischen keine neutralen Pronomen zum Bezeichnen nicht-binärer Begriffe. Die Nutzung des Plurals wird aufgrund kultureller Implikationen vermieden – denn in der heutigen Sprache gilt er als diskriminierend aufgrund von Klassenzugehörigkeit. Dies stammt daher, dass „Sie“ (loro) historisch als eine übermäßig formelle Form genutzt wurde, nämlich im Umgang mit Königen oder Jemandem, der als über dem eigenen sozialen Status stehend betrachtet wurde. Die linguistische Perspektive auf nicht-binäre Angelegenheiten wird momentan in der LGBT+-Community diskutiert, die die Nutzung des * in der Schriftsprache einführte, um Deklinationen zu vermeiden (und hauptsächlich ein Akt des Aktivismus ist), jedoch noch keine Lösung für die gesprochene Sprache gefunden hat. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Nutzung des Plurals als wörtliche Übersetzung von „Sie“ keine Lösung ist und nur zu Missverständnissen führen wird. 

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