Höfliche Bitten: Sie sind kulturell und sprachlich relativ
“Can you…?” oder “could you please…?” In Ihrem Sprachunterricht haben Sie vermutlich gelernt, dass man so eine höfliche Bitte auf Englisch formuliert. Allerdings ist die bloße Fähigkeit, englische Sätze zu formulieren, in echten Gesprächssituationen nicht genug. Wer Englisch nicht als Muttersprache spricht, muss zunächst die Folgen einschätzen können, die die Wahl zwischen “can you send me that file?”, “could you please send me that file?” oder schlicht “send me that file” mit sich bringt.
Meine Erfahrung beim Unterrichten von Englisch als Fremdsprache für Geschäftsleute zeigt, dass es um viel mehr geht als nur um das perfekte Beherrschen der englischen Grammatik. Zwar sind das Erlernen neuer Strukturen und Vokabeln sowie viel Übung wichtige Schritte im Spracherwerb, allerdings kann das Entwickeln von Kommunikationsstrategien für eine erfolgreiche internationale Unternehmenskommunikation ebenfalls herausfordernd sein. Zu wissen, wie auf Englisch ein Satz im Imperativ zu formulieren ist, ist wichtig. Doch es ist genauso wichtig, zu wissen, welche sozialen Konsequenzen es hat, den Imperativ in einer Unterhaltung zu verwenden.
Was wie eine einfache Bitte klingt, kann je nach Imperativ-Verwendung, Wortstellung oder Beugung leicht als unhöflich interpretiert werden. Wie ich bereits an anderer Stelle beschrieben habe, ist zum Beispiel in einigen Kommunikationskontexten in Brasilien die Verwendung des Imperativs üblich. Die sprechende Person muss lediglich eine gewisse Betonung verwenden, um zu verdeutlichen, dass sie eine höfliche Bitte ausspricht, und keine Anweisung. Wenn Sie also eine Kollegin beispielsweise darum bitten möchten, Ihnen eine Datei zu schicken, ist es vollkommen normal, sie zu fragen: “me manda o arquivo?” (wörtlich auf Englisch: Send me the file?). Diese Satzkonstruktion ist vollkommen üblich und erreicht genau das, was sie soll: Ihre Kollegin wird Ihnen vermutlich die gewünschte Datei schicken und weiterhin eine hohe Meinung von Ihnen haben.
Ein häufiges Problem beim Erlernen einer Sprache ist jedoch häufig, dass Lernende die Regeln ihrer Muttersprache auf die neu erlernte Sprache anwenden. So tendieren auch Englisch-Lernende aus Brasilien dazu, die Regeln ihrer Muttersprache Portugiesisch anzuwenden, wenn sie nicht-brasilianische Teammitglieder ansprechen: “Hey, buddy, send me the file?” Wenn das als unhöflich aufgefasst wird, kann dies weitreichende Folgen haben.
Duzen oder siezen?
Auch im Fall von Personalpronomen haben Lernende häufig Schwierigkeiten mit der Grammatik und den damit verbundenen Höflichkeitsregeln. Das Personalpronomen „you“ kann in anderen Sprachen auf verschiedene Weise ausgedrückt werden. Wer etwa Deutsch als Zweitsprache lernt, – und wenn die Muttersprache nur über ein Pronomen für die zweite Person verfügt – für den kann es extrem schwierig sein, sich in bestimmten Situationen bei der Arbeit zwischen dem informellen „du“ und dem höflichen „Sie“ zu entscheiden. Das ist besonders schwierig, wenn man nicht gerade viel Zeit zum Überlegen hat und sich schnell entscheiden muss. Nach Murphys Gesetz werden Sie wahrscheinlich die falsche Wahl treffen.
Das Gute daran ist, dass man aus seinen Fehlern lernen kann und man beim nächsten Mal eher die richtige Entscheidung fällt. Allerdings zeigt das wahre Leben schonungslos, dass das nicht immer der Fall sein muss. Die Grammatikregeln und Anwendungsfälle, die Sie in Ihrer Muttersprache erlernt haben, haben einen langfristigen Effekt auf die Art und Weise, wie Sie sprechen. Wenn Sie etwa in den ersten 18 Jahren Ihres Lebens nie zwischen Pronomen der zweiten Person unterscheiden mussten, werden Sie dies nicht nach nur einer Unterrichtseinheit in Ihrem Sprachkurs oder nach einem echten Gespräch beherrschen. Stattdessen werden Sie viel Übung und Offenheit brauchen. Ein wenig Geduld vonseiten der jeweiligen Gesprächspersonen kann ebenfalls nicht schaden.
Offenheit und bewusstes Vermeiden vorschneller Urteile
Offenheit erfordert den Willen, sich neue Ideen anzuhören und andere Perspektiven fair in Betracht zu ziehen. Wenn Sie in einem internationalen Unternehmen tätig sind, in dem eine diverse Gruppe aus Kolleginnen und Kollegen arbeitet, verfügen Sie bereits über einen gewissen Grad an Offenheit. Die Frage ist nun, wie Sie diese nutzen, um Ihre Kommunikationsfähigkeiten in einer internationalen und diversen Arbeitsumgebung zu verbessern. Die Antwort: Versuchen Sie bei jeder spezifischen Interaktion die tatsächlichen Ziele Ihres Gegenübers zu identifizieren und auch zu verstehen, dass diese Ziele abhängig vom kulturellen Hintergrund sehr unterschiedlich gewichtet sein können.
Nehmen wir als Beispiel Geschäftsmeetings und die darin typischerweise zu erledigenden Aufgaben oder Punkte. In einigen Kulturen kann “Aufgaben-Orientierung” bei Weitem den Wunsch nach Stärkung persönlicher Beziehungen überwiegen; in anderen Kulturen ist die Bildung eines positiven sozialen Umfelds der erste Schritt zur Schaffung des Vertrauens, das notwendig ist, um die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Diese Problematiken im Blick zu behalten, hilft dabei, nicht voreilig zu urteilen, etwa „Person X ist unhöflich“ oder „Person Z ist nicht ernst genug“. Derartige falsche Annahmen bleiben oft unausgesprochen, und sorgen so für einen Schneeballeffekt, bis es zu konkreten Konsequenzen kommt, womöglich sogar zu einem abrupten Ende der Verhandlungen. Um dies zu vermeiden ist es ratsam, eine Balance zwischen den Interaktionszielen und fundiertem Kulturwissen herzustellen. Dieses Wissen ist für die Entwicklung „interkultureller Kompetenz“ wichtig.
Wollen Sie ein Profi für interkulturelle Kompetenz werden? Hier sind 5 Tipps, die Ihnen dabei helfen:
1. Lesen Sie sich in das Thema ein
Belesen Sie sich über die Kulturen, mit denen Sie zu tun haben. Seien Sie bei der Auswahl Ihrer Lektüre jedoch vorsichtig. Es gibt zahlreiche Texte, die ausschließlich negative kulturelle Stereotype befeuern. Für die deutsche Geschäftskultur kann ich Doing Business with Germans von Schroll-Machl empfehlen. Ein großartiges Buch, nicht nur für Nicht-Deutsche, sondern auch für Deutsche, die wissen wollen, wie ihr Verhalten üblicherweise von anderen interpretiert wird.
2. Hören Sie aufmerksam zu
Zuhören ist eine unterschätzte Fähigkeit in unserer heutigen Welt, in der scheinbar sämtliche Aufmerksamkeit dem Sprechen gewidmet wird. Es erfordert viel Konzentration und Übung, die Einwürfe des Gegenübers nicht als Unterbrechung Ihrer eigenen Rede zu verstehen, sondern als einen wichtigen und überaus sinnvollen Beitrag zur stattfindenden Interaktion. Daher sollten Sie sich als zuhörende Person die Zeit nehmen, nicht nur die bloßen Wort zu hören, sondern diese auch hinsichtlich kultureller Besonderheiten und anderer Ihnen bekannter Zusammenhänge zu interpretieren.
3. Richten Sie Ihr Augenmerk auf nonverbale Kommunikation
Beachten Sie nonverbale Hinweise wie Körperhaltung, Betonung und Augenkontakt. Beobachten Sie, wie Ihr Gegenüber mit Menschen des gleichen kulturellen Hintergrunds interagiert. Dies kann Ihnen dabei helfen, nonverbale Hinweise zu verstehen.
4. Vermeiden Sie Fallstricke à la „gesunder Menschenverstand“
Egal, wie selbstverständlich eine Information für Sie klingen mag, vermeiden Sie es, diese unter dem Motto „gesunder Menschenverstand“ vorauszusetzen. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, das Gleiche auszudrücken, derer Sie sich nicht bewusst sind. Bitten Sie also häufig um Klärung und Bestätigung. Stellen Sie Fragen, um sicherzustellen, dass Ihr Gegenüber verstanden hat, was Sie meinen.
5. Lernen Sie mehr über Ihre eigene Kultur
Mit anderen Kulturen als der eigenen Umgang zu haben, führt häufig dazu, dass man sich der eigenen kulturellen Werte bewusst wird, und wie diese von anderen möglicherweise wahrgenommen werden. Erkunden Sie diese reflexive Geisteshaltung und hinterfragen Sie, was bisher als „so ist das nun einmal“ angesehen wurde. Selbst wenn es zunächst unangenehm ist, anzuerkennen, dass viele unserer Glaubenssätze keine absoluten Wahrheiten sind, kann es zu einer erhöhten Offenheit und Akzeptanz gegenüber anderer Werte führen, die, genau wie Ihre eigenen, häufig sozial und historisch geprägt sind.
Und wenn Sie dann die Bitte „send me that file, buddy“ erhalten, werden Sie vermutlich feststellen, dass Ihre kulturell geprägte Vorstellung von „Höflichkeit“ nicht universell anwendbar ist – und die Datei wie gewünscht senden.