Schon verrückt, wie man sich manchmal von seiner eigenen Sprache verlassen fühlt. Gerade letzte Woche hatte ich dieses Erlebnis mit meiner Muttersprache Französisch, irgendwann nachts, als ich mit Freunden in einer Kneipe war. Constance kam zu spät und sagte: Y a dégun dans ce bar! („Hier ist niemand in dieser Kneipe!“) Mathilde, die, wie wir alle, eine halbe Stunde gewartet hatte, antwortete: Mais qu’est-ce que tu bouinais? On t’attend depuis trente minutes! ( „Was regst du dich auf? Wir warten seit einer halben Stunde auf dich!“) Celia bot ihr dann un schlouk de bière („einen Schluck Bier“) an, während Helen etwas zur Seite rückte, sodass sich Constance zu uns setzen konnte. Helen sagte zu ihr: Allez, c’est bon, t’es rendue, assieds-toi! („Komm schon, ist doch gut, du bist angekommen, setz dich!“). Ich weiß ja nicht, wie’s dir mit diesen Wörtern geht, aber ich saß an dem Abend daneben – und kein Einziger dieser Sätze machte auch nur irgendwie Sinn für mich. Und das, obwohl ich eigentlich dachte, ich spreche Französisch.
Französisch ist eine Sprache, die je nach Temperament und Kultur ganz unterschiedlich sein kann. Im Laufe der Zeit hat jede Region in Frankreich ihre eigenen Ausdrücke entwickelt, hat je nach Geschichte und Lebensweise ein eigenes Vokabular ausgebildet. Jeder Franzose etwa kennt den berühmt-berüchtigten Streit über das pain au chocolat – oder soll ich für die Südländer lieber chocolatin sagen? Oder petit pain für die Elsässer? Wie auch immer: Das symbolische pain au chocolat alleine wird den vielfältigen Variationen unserer Sprache sicher nicht gerecht. Der Grund dafür ist, dass jede Region Frankreichs eine Vielzahl an lokaltypischen Ausdrücken besitzt. 13 davon habe ich hier ausgesucht, sodass du dich ein bisschen an die spannenden Variationen der französischen Sprache gewöhnen kannst.
Gouelle („Möwe“)
Nom de diou, il a mangé comme une gouelle, il n’en reste pas une miette! Auf Deutsch: „Du lieber Himmel, er hat wie eine Möwe gegessen, es ist kein Stückchen übrig geblieben!“
Man muss schon sagen, dass die bretonische Gastronomie etwas Besonderes ist. Ich denke insbesondere an Langusten, Hummer, Meeresfrüchte oder Crêpe! Folglich isst man in der Bretagne reichlich, so viel wie eine gouelle, also eine „Möve“. Der Begriff entlehnt sich wohl von dem Namen der „Silbermöwe“, auf französisch goéland, die ja angeblich den Hals nie voll genug kriegt. Genauso wie ein Bretone, wenn er vor einer galette-saucisse steht – das ist quasi der Hotdog der Bretagne.
(Être) gaugé („durchnässt sein“)
Il pleut comme vache qui pisse, le Michel va être tout gaugé ! Auf Deutsch: „Es regnet wie aus allen Wolken, der Michel wird total durchnässt werden!“
Das, was die meisten Franzosen einfach nur als Klischee über die Normandie kennen, nämlich den Regen, beschert den Menschen dort tatsächlich ein hartes Leben. Denn wenn es in der Normandie regnet, dann regnet es ohne Unterlass. Die Franc-Comtois müssen mit diesem schlechten Wetter so oft leben, dass sie einen eigenen Begriff dafür gefunden haben: Was im Rest von Frankreich être trempé heißt, nennen die Franc-Comtois être gaugé(„durchnässt sein“). Und durchnässt, das wird man in der Normandie im wahrsten Sinne des Wortes … was dich nicht davon abhalten sollte, dorthin zu reisen, denn wir haben eine Menge reizvoller Schlösser und Museen.
Frouiller („betrügen“)
C’est impossible que tu gagnes encore: je suis sûr que tu frouilles! Auf Deutsch: „Unmöglich, dass du schon wieder gewinnst: Du betrügst doch bestimmt!“
Was bedeutet frouiller? Der Begriff soll vom lateinischen fraus, fraudis stammen, was fourberie, fraude („Schurkerei, Betrug“) bedeutet. Also, mit dem Wörtchen frouiller machst du niemandem ein Kompliment. Nur zurecht, denn gerät man an einen echten Trickspieler, betrügt der einen eiskalt und direkt vor der Nase.
Jaille („Mülldeponie“)
On charge tout dans la remorque et on dépose ça à la jaille. Auf Deutsch: „Wir laden alles in den Anhänger und bringen es zur Mülldeponie.“
Pardon? Falls das Wörtchen jaille auch für euch wenig Sinn ergibt, dann wendet euch vertrauensvoll an jemanden in Nantes oder Angevin und er wird euch zur Mülldeponie bringen, voilà. Warum man diesen Ausdruck ausgerechnet in den industriellen Ballungszentren an unserem hübschen Fluss Loire erfand? Wie dem auch sei … Auch wenn dieser Ausdruck alles andere als glamourös ist, kann es vielleicht trotzdem ganz nützlich sein, ihn zu kennen.
Dérambouler („am Treppengeländer hinunterrutschen“)
Il a déramboulé depuis le haut de l’escalier sans jamais tomber ! Auf Deutsch: „Er ist die Treppe von ganz oben hinuntergerutscht, ohne zu fallen!“
Die korrekte Etymologie des Wortes dérambouler ist uns Franzosen nicht bekannt, aber die Übersetzung ist eindeutig: dérambouler heißt so viel wie glisser sur la rampe de l’escalier („am Treppengeländer hinunterrutschen“). Aber benötigt man dafür wirklich ein eigenes Wort? Naja, die Bewohner von Lyon – die den Begriff ins Leben gerufen haben – scheinen dieser Meinung zu sein.
Maronner („maulen, meckern“)
T’as fini de maronner parce que t’as perdu? Auf Deutsch: „Nur weil du verloren hast! Kannst du das Meckern mal lassen?“
Schlechte Spielverderber gibt es überall. Aber die Leute aus unserer Hafenstadt Marseille schießen in der Regel den Vogel ab. Unter uns Franzosen sind sie dafür bekannt, die beleidigten Leberwürste par excellence zu sein. So ein Verhalten nennen wir maronner („maulen, meckern“). Und das mutiert bei den Leuten aus Marseille zum Ausdruck marmonner dans sa barbe („in den Bart brummen“). Dort ist man eben für seine Laune bekannt. Keine Ahnung, woran das schlechte Gemüt liegt, denn am mediterranen Klima im Süden kann’s nicht liegen.
Bigaille („Kleingeld, paar Zerquetschte“)
Misère, j’ai plein de bigaille. Je m’en débarrasserai à la boulangerie. Auf Deutsch: „Mist, ich hab zu viel Kleingeld. Das werd ich beim Bäcker loswerden.“
Als ich ein Kind war, lebten wir im Département Loire-Atlantique, also in der Bretagne an der wilden, rauen Atlantikküste. Wenn mich meine Mutter damals losschickte, Brot zu holen, dann gab sie mir immer bigaille („ein paar Zerquetschte“) mit, die sich in ihrer Handtasche angesammelt hatten. Bigaille, das sind diese kleinen Münzen oder Pfennige, die so gut wie keinen Wert haben. Jedes Mal, wenn wir irgendeinen Kleinkram kaufen, wollen wir sie jemandem unterjubeln. Wenn ihr so viele davon habt, dass ihr sie unmöglich ausgeben könnt, füllt doch einfach eine Vase damit …
Ronquer („schnarchen“)
Je n’ai pas fermé l’œil de la nuit mais lui a ronqué comme un bienheureux. Auf Deutsch: „Ich hab heute Nacht kein Auge zugekriegt, aber der da, der hat wie ein Glückseliger geschnarcht.“
Wenn wir Franzosen gut schlafen, scheinen wir das auf sehr eigenwillige Weise auszudrücken. Offenbar sind bei uns jene Menschen mit einem guten Schlaf gesegnet, die mit geballten Fäusten schlafen. Kein Quatsch, denn dormir à poings fermés („mit geballten Fäusten schlafen“) bedeutet genau das: der Schlaf der Gerechten. Aber was hat es mit unserem Beispiel ronquer auf sich? Dieser Begriff wird vor allem im Südwesten Frankreichs verwendet und entstand im Zuge der Französisierung des spanischen roncar, was ganz einfach ronfler („schnarchen“) heißt.
Ramasse-bourrier („Handbesen“)
Va donc chercher le ramasse-bourrier, il reste un grand tas de poussière dans le couloir. Auf Deutsch: „Geh mal den Handbesen holen, da ist noch eine ganze Menge Staub im Flur.“
Der Ausdruck bourrier kommt ursprünglich aus der französischen Region Poitou in Westfrankreich und damit bezeichnete man früher das Stroh, das nach dem Dreschen auf dem Boden zurückblieb. Im Laufe der Zeit wurde dieser Begriff vermehrt dann verwendet, wenn man den Abfall meinte, der auf dem Boden herumlag. Gezwungenermaßen mussten wir einen Handbesen verwenden, um den Abfall aufzukehren und so kam es zur Begriffsbildung ramasse-bourrier, anstatt pelle („Schaufel“) zu sagen oder pelle à poussière („Kehrichtschaufel“).
Peuf („Staub“)
Tu te fiches de moi? Il y a encore plein de peuf sur les meubles! Auf Deutsch: „Willst du mich auf den Arm nehmen? Da ist noch eine Menge Staub auf den Schränken!“
Liebhaber des Skisports haben mir erklärt, dass peuf eigentlich „Pulverschnee“ heißt und von dem Wörtchen poudreuse („pulverig“) kommt. Das mag schon stimmen. Die Hauptbedeutung dieses Wortes savoyischen Ursprungs ist aber einfach poussière („Staub“) und stammt vom altfranzösischen Wort pousse („Spross“) ab. Von wegen Pulverschnee! Es geht ganz profan um Staub auf Möbeln!
S’empierger („stolpern“)
J’étais à deux doigts de me retrouver par terre. Je me suis empiergée dans les racines de l’arbre. Auf Deutsch: „Mich hätt’s beinah hingeschmissen. Ich bin über die Baumwurzeln gestolpert.“
Tja, man sollte halt schon darauf achten, wohin man seine Füße setzt! S’empierger ist ein Pronominalverb, das man im Nordosten Frankreichs verwendet und das so viel heißt wie trébucher, se prendre les pieds dans quelque chose („stolpern, mit den Füßen an etwas hängen bleiben“). Der Begriff stammt von dem Wort perche („Stange“), die verwendet wurde, um das Ausbrechen von Vieh zu verhindern. Klingt absurd? Ist gar nicht so absurd, denn der Nordosten ist in Frankreich schließlich für seine Milchwirtschaft und Rinderhaltung bekannt.
Bugner („zusammenstoßen“)
Je ne l’ai pas vue arriver, on s’est bugné sur le parking! Auf Deutsch: „Ich hab ihn nicht ankommen sehen, wir sind auf dem Parkplatz zusammengestoßen.“
Die Leckermäuler unter euch denken hier vielleicht an den mit Marmelade oder Creme gefüllten Lyoner Krapfen, den sogenannten bugne, aber falsch gedacht. Das Verb bugner wird im Südosten Frankreichs verwendet, vor allem in der Region um Lyon und Savoy.
Péguer („kleben“)
Joel n’a pas nettoyé le sol après la soirée: ça pègue! Auf Deutsch: „Joel hat nach der Party den Boden nicht gewischt. Der klebt!“
Genau, ihr habt’s erraten: Das Verb péguer, das für gewöhnlich unsere Toulouser Nachbarn in Südfrankreich verwenden, heißt so viel wie coller („an etwas hängen bleiben“).
Diese Auswahl ist natürlich nicht vollständig, aber du wirst mit diesen 13 regionalen Redewendungen sehr viel Spaß in deinem nächsten Urlaub haben!