Krakau – eine ehrliche Liebeserklärung an die polnische Stadt

Hast du eine Lieblingsstadt? Unser Autor David ist bekennender Liebhaber von Krakau – und widmet der Stadt diesen wunderschönen Liebesbrief.
Krakau

Krakau, du bist die heimliche Hauptstadt Polens und warst in der Vergangenheit die tatsächliche. Du lebst – weit vom politischen Geschehen Warschaus – an der Weichsel und scheust dich nicht davor, dich als geistige und kulturelle Metropole Polens zu sehen. Du bist eine Stadt, die vor Geschichte strotzt. Nicht nur vor polnischer Geschichte, sondern auch vor jüdischer, deutscher, böhmischer, österreichischer, russischer und letztendlich europäischer. Du hast Kriege erlebt, du hast Frieden erlebt. Du hast Jahrhunderte der Könige und des Adels mitgemacht, die wie Geschichten aus Fantasy-Romanen anmuten. Du hast das Grauen des Zweiten Weltkrieges erlebt, die Nationalsozialisten machten dich zur unfreiwilligen Hauptstadt ihres Generalgouvernements, die als Befehlszentrale für ihre Verbrechen diente. Ghettos, Deportationen und Konzentrationslager gehören genauso zu deiner Geschichte wie Schlösser, Gotteshäuser und Denkmäler. Krakau. Du bist eine Stadt, die es nicht leicht hatte.

Die Marienbasilika thront wie eine Königin aus einer längst vergangenen Zeit seit fast 700 Jahren über deinem Rynek – einem der größten mittelalterlichen Marktplätze Europas. Du betrachtest Touristen als notwendiges Übel der Moderne. Aus deinen Türmen ertönt zu jeder vollen Stunde der Hejnal, ein Turmlied, gespielt auf einer Trompete, das früher als Warnsignal vor feindlichen Truppen diente. Heute ist dies vielleicht sogar symbolträchtiger als die polnische Nationalhymne, denn jeden Tag zur Mittagszeit ertönt der Hejnal live im polnischen Radio, erfüllt die Wohnzimmer des gesamten Landes und versetzt die Hörenden direkt zu dir.

Alle Wege führen nicht nach Rom, sondern auf deinen Rynek. Touristen, Künstler und Händler, Gräfinnen und Prinzregenten, Priester und Nonnen, Pferde und Kutscher, Einheimische und Vorbeigehende, Hungrige und Hunde, alle vereint auf dem Platz, der deinen Takt vorgibt. Alle stehen sie und staunen. Darüber, dass die Tauben in Krakau scheinbar nie scheißen, Selfies die Datenströme der Welt erobern und du weiterhin geduldig deinen Segen für dieses Spektakel gibst, obwohl du manches Mal müde und alt erscheinst. Bist du nun eine Attraktion oder ein Erbe? Schweigen legt sich über den Rynek, über dich und deine Einwohner, doch nur wenige Stunden dauert deine Nacht. Denn du, Krakau, bist eine Schlafwandlerin: tagsüber eine Attraktion für die Massen, nachts ein Ball der Massen. Vom klassischen Partylokal über touristische Saufstätten bis zum größten LGBT-Club der Region, du bietest alles und verwehrst nichts.

Deine Besucher verwöhnst du kulinarisch. Besonders in Kazimierz, deinem östlichen Stadtteil, der früher und heute stolz als Herz des polnischen Judentums angesehen wird und wo seit Jahren das größte Festival jüdischer Kultur stattfindet. Tausende Besucher haben Hunger. Die Szalom-Falafel im Keller der Isaak-Synagoge bezeichnet sich als einziges koscheres Streetfood-Restaurant in Krakau. Es ist nicht nur koscher, sondern auch lecker, denn du weißt, dass Liebe durch den Magen geht. In der Bäckerei meines Vaters, ebenfalls in Kazimierz, wird für die Schlaflosen frisches Brot bis zwei Uhr nachts gebacken.

Wie der Rynek dein Taktgeber in der Altstadt ist, ist die Alchemia deine Botschafterin in Kazimierz. Ein Club, eine Bar, eine Universität des Trinkens und Lustwandelns zwischen Schauspielern, Musikern, Studierenden und dem ein oder anderen verirrten Touristen, der zu viel Geld auf der Kreditkarte und zu wenig Erfahrung in der hohen Kunst der Alchemie besitzt, sitzt du in einer schummrigen Ecke, rauchst deine altertümlichen Kräuter und betrachtest das junge Leben, das ausgelassen feiert und die Welt zu erobern glaubt.

Krakau, du bist keine Stadt, in die wir uns einfach so verlieben. Dazu bist du viel zu stolz. Du bist eine Stadt, die die Kunst der Verführung seit Jahrhunderten beherrscht. Besonders deine Parkanlagen, die Planty, die die historische Altstadt umfassen, sind ein Treffpunkt für Verliebte und die, die es werden wollen. Dort, kurz anhaltend, schräg nach oben schauend, durch die alten Wipfel der Bäume, zwischen den Denkmälern wichtiger Persönlichkeiten, erscheint deine jahrhundertalte Pracht.

Krakau, im Rascheln des fernen Stadtgewirrs höre ich dein leises Flüstern.

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