In der gesamten Tierwelt sind es die Menschen, die sprachlich am versiertesten sind. Doch finden sich auch Vögel ganz oben auf dieser Liste. Natürlich verfügen diese nicht über die ganze Bandbreite, wie wir Menschen – du wirst kaum zwei Vögel finden, die über das Leben und das Universum diskutieren – Doch diese Himmelsgeschöpfe erfreuen die Welt mit ihrem melodischen Gesang, wobei jede einzelne Art ihre ganz eigene Klangfarbe mit einbringt. Ein Spaziergang in der Natur enthüllt, dass die Vogelsprache mehr als nur Gezwitscher ist.
Ist die Vorstellung also lächerlich, dass es ein Wörterbuch der Vogelsprache geben könnte? Vielleicht. Doch das hielt John Bevis, den Autor von Aaaaw to Zzzzzd: The Words of Birds, nicht davon ab, einen Leitfaden für die Laute, die Vögel produzieren, zu erstellen (obwohl dieser sich nur auf Nordamerika, Großbritannien und das nördliche Europa beschränkt). Der größte Teil des Buches beschränkt sich auf ein Glossar der „Ausdrücke“ – die Töne sind in alphabetischer Reihenfolge geordnet – doch Bevis gibt uns auch Einblicke, wie Vögel überhaupt singen in die Geschichte der Aufnahme von Vogelgesang und die Gründe, warum es sich lohnt, dieses Projekt überhaupt anzugehen.
Übrigens gibt es auch ein deutschsprachiges Buch, das sich diesem Thema widmet: „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?” – ein Archiv für mehr als 300 (!) Vogellaute. Währenddessen existiert in der Türkei sogar eine Pfeifsprache, die von den Einheimischen „Vogelsprache” genannt wird. Vielleicht sind wir der Vogelsprache unter Menschen ja schon näher als gedacht …
Wie Vögel sprechen
Wenn du in den Wald gehst und deine Ohren öffnest, wirst du eine richtiggehende Geräuschkulisse wahrnehmen. Für fachunkundige Personen bedeutet diese Kakophonie an Gezwitscher lediglich: „Hier gibt es Vögel“. Aber für erfahrene Birder (bzw. Vogelbeobachtende) enthüllen diese Laute ganz genau, welche Vögel gerade in der Nähe sind. Wie ist diese komplexe Vogel-Geräuschkulisse überhaupt entstanden?
Die Laute, die ein Vogel produzieren kann, sind vor allem von der Physiognomie des Vogels selbst abhängig. Dies trifft natürlich auf jedes Tier zu. Wir Menschen sind unter anderem dazu in der Lage, Sprache zu nutzen, da unser Körper sich so entwickelte, dass wir eine ganze Bandbreite an Geräuschen machen können, mit denen wir dann nach und nach die Sprache erfanden. Die Art und Weise, wie Vögel sprechen, hängt also davon ab, welche Pieptöne und Gezwitscher der Körper eines Vogels produzieren kann. Aus diesem Grund klingt ein Rotkehlchen auch ganz anders als eine Krähe.
Doch die Art, wie ein Vogel singt, hängt nicht ausschließlich davon ab, wie sein Körper geformt ist. Vögel lernen auch den für sie charakteristischen Gesang, so dass die Vogelsprache eine Mischung aus Instinkt und erworbenem Wissen ist. In seinem Buch stellt Bevis fest, dass Vögel wie der Grünfink Melodien von Generation zu Generation weitergeben können. Es gibt außerdem auch Vögel, die im Laufe ihres Lebens neue Lieder lernen können, sowie Vögel, die dies nur können, solange sie noch ganz jung sind.
Da Vögel von ihrer Umgebung lernen, bedeutet dies auch, dass Vögel verschiedene Dialekte „sprechen“. Ein und dieselbe Vogelart singt unterschiedlich, je nachdem, wo sie heimisch ist, zum Beispiel in Niedersachsen oder Baden-Württemberg. Eine Studie fand heraus, dass ein einziger Vogel – die Dachsammer – über mindestens zehn verschiedene Dialekte in der Bay Area in Kalifornien verfügt, so dass geübte Vogelbeobachtende (oder sollen wir sagen: Vogel-Zuhörende?) ganz genau sagen können, woher dieser Vogel stammt. Das ist natürlich nicht einfach, aber es ist möglich.
Ein Wörterbuch der Vogelsprache zusammenstellen
Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist die Aufgabe, tatsächlich ein Wörterbuch der Vogelsprache zusammenzustellen, ziemlich schwierig. Das Alphabet, das wir nutzen, ist dazu ausgelegt, menschliche Laute wiederzugeben und diese auf die Vögel zu übertragen, ist ein Prozess, der per se unzureichend ist. Doch dies hielt Bevis nicht davon ab, es zu versuchen.
Das Bestreben, die Töne der Vögel schriftlich festzuhalten, ist nicht vollkommen unvernünftig. Denn wir wissen zum Beispiel, dass „kuckuck” genau das Geräusch ist, das der Kuckuck macht, und die meisten Menschen stellen dies nicht infrage. Wir wissen, dass Krähen „krah–krah“ machen, und der Name eines der größten Medienunternehmen im Bereich Social Media weist darauf hin, dass Vögel zwitschern (Englisch: twitter).
Bevis erklärt ein wenig von seiner Methodologie, und eines seiner Leitprinzipien ist, dass die Einträge in seinem Buch nur eine lose Interpretation der Töne und keine direkte Transkription sind. Der k-Laut eines Menschen zum Beispiel wird erzeugt, indem die Zunge hinten gegen den Gaumen gedrückt und Luft durch den Mund ausgestoßen wird, um Zunge und Gaumen wieder voneinander zu trennen. Diese Beschreibung trifft auf die Anatomie eines Vogels überhaupt nicht zu. Wenn man einer Krähe zuhört, klingt es zumindest so, als ob sie ebenso einen k-Laut macht. Wenn Bevis also einen Ton einordnet (und er hat sich mit anderen Fachkundigen auf diesem Gebiet ausgetauscht), versucht er, so nah wie möglich an den Laut heranzukommen.
Außerdem müssen die Lesenden ebenso ihre Fantasie benutzen, um den Text zu interpretieren. Wenn eine Rotschnabeltaube im englischen Original gurrt und dieser Laut als hup-hup-a-whoo bezeichnet wird, kann man das nicht einfach in dem eigenen Kopf mit einer menschlichen Stimme lesen. Man muss sich eher ein bisschen in die Vogelwelt einfühlen.
Bevis zaubert außerdem ein weiteres Werkzeug der Vogelbeobachtenden aus dem Kasten: die Mnemonik. Je nachdem, wo du aufgewachsen bist, hast du vielleicht schon mal gehört, dass ein Uhu ruft, „Schuhu, Schuhu, nun schlaf auch du!“ oder die Blaumeise „zizibe“ macht. Natürlich sagen die Vögel diese Dinge nicht, doch es hört sich genau so an. Der Rhythmus dieser menschlichen Umschreibungen entspricht genau den Tönen, die diese Vögel produzieren. Und wenn du versuchst, Vögel zu identifizieren, ist es einfach viel leichter, sich diese kleinen Ausdrücke zu merken, als eine Ansammlung nahezu willkürlicher Buchstaben und Laute.
Wie nützlich ist ein Wörterbuch der Vogelsprache?
Trotz aller Vorbehalte darüber, die Vogelsprache in menschliche Schriftsprache zu übersetzen, fragen wir uns, wie nützlich dieses Wörterbuch sein kann? Wahrscheinlich wäre es einfacher, sich Aufnahmen dieser Vögel anzuhören, so dass du tatsächlich hören kannst, wie die Töne der Vögel klingen, statt nur anhand schriftlicher Umschreibungen zu raten. Bevis weist darauf hin, dass eine schriftliche Aufzeichnung nützlich ist, da sie eher das „allgemeine“ Geräusch anstelle des für den jeweiligen Vogel „spezifischen“ Geräuschs abbildet, was ein bisschen nach einem Argument einer Person klingt, die bereits dabei ist, ein Wörterbuch der Vogelsprache zu erstellen.
Das bedeutet aber nicht, dass die Erstellung eines Wörterbuchs für Vogelsprache nicht auch einen tatsächlichen Nutzen hat. Während es dir helfen kann, einen Vogel an seinem Gesang zu erkennen, wenn du ihn tatsächlich siehst, funktioniert das umgekehrt nicht, wenn du nur das Geräusch hast und nicht weißt, wie der Vogel aussieht. Es gibt also noch Potential für Verbesserungen. Denn wenn du Geräusche hörst, die von denen abweichen, die Bevis hört, wird es schwierig sein, herauszufinden, um welchen Vogel es sich handelt. Und wenn es einander derart ähnelnde Einträge gibt wie tac tac, tac-tac-tac, tak tak und tak-tak-tak, kann das schon sehr verwirrend sein.
Was ein Wörterbuch der Vogelsprache jedoch so wertvoll macht, ist der tapfere Versuch, die ganze Diversität und Einzigartigkeit der Vogelsprache einzufangen und abzubilden. Es besteht immer die Gefahr, Tiere zu vermenschlichen – man sollte keine Bedeutung in Dinge hineininterpretieren, die gar nicht da ist – doch es ist in sprachwissenschaftlicher Hinsicht sinnvoll, die Beziehung zwischen der Sprache der Menschen und der Sprache der Vögel zu untersuchen. Schließlich sind auch Menschen nur Tiere, die sich vor Millionen von Jahren weiterentwickelt haben, und wir geben unser Bestes, um unsere entfernten Verwandten mit Federn zu verstehen.