Spanien – das ist Paella, Flamenco, Stierkampf und Sangria, und gesprochen wird Spanisch – ist doch klar, oder? Ganz so einfach ist es nicht. Die verschiedenen Regionen Spaniens haben sehr unterschiedliche kulturelle Traditionen, die mit dem typischen Klischee von Spanien oft nicht viel zu tun haben. So ist Stierkampf mittlerweile in einigen Landesteilen verboten (etwa auf den Kanaren), und getanzt werden vielerorts statt Flamenco lieber Sardana (Katalonien) oder Aurresku (Baskenland). Doch das ist noch nicht alles: Wusstest du, dass es in Spanien neben Spanisch (castellano auf Spanisch) eine Reihe von Regionalsprachen mit teilweise mehreren Millionen Sprechern gibt?
Diese Sprachen werden neben Spanisch noch in Spanien gesprochen
Katalanisch (Català)
Beispiel: Benvingut („Willkommen“)
Katalanisch ist die mit Abstand am meisten gesprochene Regionalsprache Spaniens. Man findet sie in den autonomen Gemeinschaften Katalonien, Valencia, Aragón, Murcia und auf den Balearen in verschiedenen regionalen Varietäten. Mit insgesamt etwa 11 Millionen Sprechern in vier Ländern ist Katalanisch außerdem die meistgesprochene Regionalsprache innerhalb der Europäischen Union: Sie ist Amtssprache von Andorra und wird in kleinen Gegenden von Italien (wie der Stadt Alghero auf Sizilien) und Frankreich (im Departement Pyrenées-Orientales um Perpignan) gesprochen. Etwa 35 % der Bevölkerung in Katalonien geben Katalanisch als ihre Muttersprache an, ähnlich hoch ist der Anteil derer, die angeben, im Alltag überwiegend Katalanisch zu sprechen. Die Sprache verstehen können in Katalonien aber ganze 95 % der Bevölkerung. Auch wenn sie für ungeübte Ohren am Anfang ähnlich klingen mag wie Spanisch – viele Katalanen haben es nicht gern, wenn beide Sprachen verwechselt werden oder Besucher nicht wissen, dass Katalanisch eine eigenständige Sprache ist (was sicherlich für die meisten nachvollziehbar ist).
Galicisch (Galego)
Beispiel: Benvido („Willkommen“)
Eine weitere große Regionalsprache Spaniens ist Galicisch, das wie Spanisch und Katalanisch zu den romanischen Sprachen gehört, sich also aus dem gesprochenen Vulgärlatein entwickelt hat. Es wird in Galicien von rund 3 Millionen Menschen gesprochen und ist eng mit dem Portugiesischen verwandt. Vorsicht, Verwechslungsgefahr: Die Region in Spanien wird mit „c“ geschrieben, nicht mit „z“ oder „ll“: Galizien ist eine Region in Polen und der Westukraine, Gallizien eine Gemeinde in Österreich!
Baskisch (Euskara)
Beispiel: Ongi etorria („Willkommen“)
Im Baskenland begegnet dir eine weitere äußerst interessante Sprache. Baskisch ist eine sogenannte isolierte Sprache – sie ist also nach heutigem Forschungsstand mit keiner anderen lebenden Sprache verwandt, was sie in Europa einzigartig macht! Baskisch wird von schätzungsweise 700.000 Personen in Nordspanien und im südfranzösischen Grenzgebiet gesprochen. Die Mehrheit der Basken hat sowohl Baskisch als auch Spanisch als Muttersprache, in Schulen werden alle oder zumindest einige Fächer auf Baskisch unterrichtet.
Neben diesen drei bekannten Regionalsprachen gibt es noch einige weitere kleine Sprachen in Spanien, die zum Teil nur von wenigen tausend Menschen gesprochen werden. Dazu zählen Aragonesisch (gesprochen in einigen Gemeinden von Aragón), Extremadurisch (gesprochen in Extremadura) und Asturleonesisch (gesprochen im äußersten Nordwesten Spaniens und in angrenzenden Gebieten Portugals).
Warum wurden die Regionalsprachen unter Franco unterdrückt?
Alle Regionalsprachen haben gemeinsam, dass sie eine äußerst wechselvolle Geschichte durchlebt haben und bis heute immer wieder politisch instrumentalisiert wurden und werden. Unter der Diktatur von Francisco Franco von 1936 bis 1975 wurden die Regionalsprachen marginalisiert und aus dem öffentlichen Raum verbannt. Ob in der Schule, für die Kommunikation mit Behörden, in Radio, Theater und Kirche – im öffentlichen Raum durfte ausschließlich Spanisch (castellano) verwendet werden, um die Einheit der spanischen Nation zu propagieren. Plätze und Straßen wurden umbenannt, Kulturinstitute geschlossen und Bibliotheken „gesäubert“.
Trotz dieser jahrzehntelangen Unterdrückung gelang es glücklicherweise nie, die Regionalsprachen komplett auszulöschen. Nach Ende der Franco-Diktatur und Rückkehr zur Republik Ende der 1970er Jahre wurden zahlreiche Bemühungen unternommen, die Regionalsprachen zu stärken und sie wieder präsenter im öffentlichen Raum zu machen. Heute ist Spanisch (castellano) Amtssprache Spaniens, und alle Spanier haben laut Verfassung die „Pflicht, sie zu kennen und das Recht, sie zu benutzen“. Darüber hinaus ist aber auch die Sprachvielfalt Spaniens in der Verfassung verankert: „Der Reichtum der sprachlichen Verschiedenheiten Spaniens ist ein Kulturgut, das besonders zu achten und zu schützen ist“. Die weiteren spanischen Sprachen können daher in den autonomen Gemeinschaften, in denen sie gesprochen werden, ebenfalls den Status einer ko-offiziellen Amtssprache erhalten, so wie es zum Beispiel in Katalonien und Valencia für Katalanisch, im Baskenland für Baskisch und in Galicien für Galicisch der Fall ist.
Welchen Status haben die Regionalsprachen in Spanien?
Was heißt das genau? In den jeweiligen Regionen können die ko-offiziellen Amtssprachen für die Kommunikation mit Behörden verwendet werden, sie werden als Unterrichtssprache in Schulen genutzt, Schilder und Bekanntmachungen sind oft zweisprachig. Es gibt heute auch viele kulturelle Einrichtungen, die sich der Erforschung, Bewahrung und Förderung der Regionalsprachen widmen, wie z. B. das Institut Ramon Llull, das katalanische Sprachkurse anbietet und Schriftsteller, die auf Katalanisch publizieren, unterstützt. Seit 2005 sind Katalanisch, Baskisch und Galicisch sogar halb-offizielle Amtssprachen der EU: Sie sind zwar keine Arbeits- oder Vertragssprachen, können aber für die Korrespondenz mit den europäischen Institutionen genutzt werden – die einzigen anderen Sprachen mit diesem Status in der EU sind Schottisch-Gälisch und Walisisch.
Welche Rolle spielen die Regionalsprachen für die baskische und katalanische Unabhängigkeitsbewegung?
In Katalonien und dem Baskenland sind beide Regionalsprachen darüber hinaus wichtig für die Unabhängigkeitsbewegungen. In beiden Regionen gibt es eine bedeutende Anzahl an Einwohnern, denen der Status als autonome Gemeinschaft Spaniens nicht weit genug geht und die die Errichtung eines eigenen katalanischen beziehungsweise baskischen Staates fordern. Für die Befürworter der Unabhängigkeit sind die Sprachen ein besonderes Mittel, um die eigene kulturelle Identität zu betonen und sich vom Rest Spaniens abzugrenzen. Wusstest du, dass beide autonome Gemeinschaften sogar eine eigene Nationalhymne haben (Els Segadors für Katalonien, Eusko Abendaren Ereserkia für das Baskenland)? Auch wenn die Unabhängigkeitsbewegungen in beiden Regionen stark sind, sind sie nicht unumstritten: Nicht nur in Katalonien, wo es regelmäßig Kundgebungen sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern der Unabhängigkeit gibt, ist das Thema ein politischer Dauerbrenner.