Die uralischen Sprachen werden im Norden von Norwegen und Schweden, in ganz Finnland, Estland, Ungarn und in Teilen von Russland gesprochen. Schauen wir uns an, welche modernen Sprachen zu dieser Familie gehören, von wie vielen Menschen sie gesprochen werden und wie ähnlich sich die einzelnen Sprachen sind. Los geht‘s!
Welche sind uralische Sprachen?
Für eine Sprachfamilie, die weitaus weniger bekannt ist als die romanischen oder germanischen Sprachen, ist diese Familie ganz schön gut aufgestellt: Noch heute werden 38 uralische Sprachen gesprochen. Davon sind Finnisch, Estnisch und Ungarisch wohl diejenigen, von denen die meisten Menschen schon etwas gehört haben.
Sie sind die jeweiligen Amtssprachen in Finnland, Estland und Ungarn, werden darüber hinaus aber auch von Minderheitengruppen in anderen osteuropäischen Ländern wie Lettland, der Slowakei und der Ukraine gesprochen. Auf diese drei Spitzenreiter folgen uralische Sprachen, die allesamt von Communitys in Russland gesprochen werden. Das sind Ersjanisch, Mokschanisch, Mari, Udmurtisch und Komi. Außerhalb von Russland hat man von diesen Sprachen vermutlich noch nicht oft gehört …
Die samischen Sprachen in den nördlichen Regionen von Norwegen, Schweden und Finnland sind die nach den „Big Three“ wahrscheinlich bekanntesten. In vielen europäischen Ländern gelten die samischen Sprachen, von denen es ungefähr zehn gibt, als offizielle Landessprachen.
Wie viele Menschen sprechen uralische Sprachen?
Im Gegensatz zu anderen großen Sprachfamilien gibt es bei den uralischen Sprachen relativ wenige Sprechende: Insgesamt sind es etwa 22 Millionen Muttersprachler:innen, 60 % davon entfallen auf Ungarisch. Finnisch wird von 5,4 Millionen als Erstsprache gesprochen, Estnisch von 1,1 Millionen, die uralischen Sprachen, die man in Russland spricht, von weniger als 500.000 und die zehn samischen Sprachen lediglich von 30.000.
Würdest du eine davon lernen (und anwenden) wollen, dann wäre Ungarisch – allein wegen der Zahl der Menschen, die es sprechen – auf jeden Fall eine gute Wahl. Und außerdem ist es die uralische Sprache mit der größten Diaspora: Neben den Personen, die in Europa verteilt sind, gibt es Communitys Ungarischsprechender in den USA, Kanada und Israel. Trotzdem unterscheidet sich Ungarisch ziemlich stark von seinen Schwestersprachen. Grund ist die frühere zeitliche und geografische Abspaltung von der Großfamilie der uralischen Sprachen. Und wo wir gerade dabei sind: Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gibt es zwischen den Sprachen dieser Familie eigentlich?
Wie ähnlich sind sich die uralischen Sprachen?
Sprachforschende vermuten, dass alle diese Sprachen von einer gemeinsamen Sprache abstammen, die sie Proto-Uralisch nennen. Sie glauben, dass das Proto-Uralische ursprünglich – so zwischen 7000 und 2000 vor Christus – im Ural im heutigen Russland gesprochen wurde. Von dort spalteten sich die Sprachen langsam voneinander ab und entwickelten sich zu den Sprachen, die wir heute kennen.
Die Schriftsysteme
Ein simpler und ziemlich offensichtlicher Unterschied zwischen den heutigen Sprachen ist, dass sie zwei verschiedene Schriftsysteme verwenden: das lateinische und das kyrillische Alphabet. Die in Russland gesprochenen uralischen Sprachen nutzen Kyrillisch, die im Norden Europas, im Baltikum und in Ungarn gesprochenen Lateinisch – allerdings mit einigen Abwandlungen.
Die Grammatik
Trotz der unterschiedlichen Schriftsysteme weisen die Sprachen viele wichtige Ähnlichkeiten auf wie die Grammatik. Die meisten uralischen Sprachen sind agglutinierend, was bedeutet, dass man in ihnen immer neue, super lange Wörter bilden kann, indem man einfach Suffixe anhängt. Während andere Sprachen wie das Englische nur ein Suffix pro Wort erlauben, gibt es in den uralischen Sprachen keine Grenzen. Und in diese neu gebildeten Wörter lässt sich jede Menge Bedeutung packen.
Zum Beispiel Finnisch: Im Wort epäjärjestelmällistyttämättömyydellänsäkäänköhän steckt so viel Bedeutung wie in anderen Sprachen in einem ganzen Satz. Auf Deutsch bedeutet das Wort: „Ich frage mich, ob – selbst mit seiner oder ihrer Eigenschaft, nicht unsystematisiert worden zu sein.“
Die uralischen Sprachen benutzen auch sehr gerne Fälle. Manche indoeuropäischen Sprachen haben ebenfalls verschiedene Fälle, auch wenn das für moderne Sprachen eher ungewöhnlich ist. Im Englischen beispielsweise gibt es kein Fallsystem. Das Deutsche dagegen ist berühmt-berüchtigt für seine vier Fälle, Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv. Wenn du mit den deutschen Fällen schon Schwierigkeiten hast, dann darfst du dich auf die uralischen Sprachen freuen: Im Nordsamischen gibt es sechs, im Ersjanischen zwölf, im Finnischen 15, im Ungarischen 18 und in Komi ganze 27 Fälle!
Ein gemeinsames Merkmal aller uralischen Sprachen ist, dass es keine Geschlechter gibt – weder ein grammatisches Geschlecht, noch ein Geschlecht in Form von Pronomen. Diese modernen Sprachen kennen nur die dritte Person Singular, die „er“, „sie“ und „es“ bezeichnet.
Die Phonologie
Auch bei der Phonologie – also wie die Sprachen klingen – sind sich die uralischen Sprachen ähnlich. In vielen der Sprachen ist die sogenannte Vokalharmonie üblich, das bedeutet, dass die Vokale in jedem Wort miteinander „harmonieren“ müssen. Was dabei als harmonisch gilt, ist von Sprache zu Sprache anders. Beim Finnischen muss zum Beispiel der Vokal eines Suffixes zum Vokal des Stammworts passen.
Die Wortbetonung ist in den uralischen Sprachen oft starr, also unabhängig vom Wort vorhersehbar. Im Gegensatz haben Sprachen wie das Englischen eine variable Betonung. Sie ist ein fester Bestandteil der Bedeutung eines jeden Worts und muss deshalb für jedes Wort gelernt werden. In den uralischen Sprachen wird meistens die erste Silbe eines Worts betont. Das ist im Ungarischen und Finnischen so, weshalb Lernende direkt wissen, wie man ein Wort, das man noch nie zuvor gesehen hat, ausspricht.
Gemeinsamer Wortschatz
Die weitere Ähnlichkeit zwischen den uralischen Sprachen ist ihr gemeinsamer Wortschatz: Viele Grundwörter haben denselben Ursprung, die Beziehung zwischen ihnen ist also leicht zu erkennen. Nehmen wir das Wort für „Knochen“: Auf Estnisch ist es luu, auf Mari lu. Das Wort „Leber“ ist maksa auf Finnisch und makso auf Ersjanisch. „Blut“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie ähnlich sich gleich mehrere uralische Sprachen sind, denn es ist veri im Finnischen und Estnischen, vïrre im Südsamischen, vir im Udmurtischen und vér im Ungarischen.
Unsere Reise in die Welt der Sprachfamilien
Unsere Reise durch die verschiedenen Zweige des uralischen Stammbaums zeigt, wie viele verschiedene Sprachen historisch miteinander verwandt sind, was wir auch bei den semitischen und indoeuropäischen Familien gesehen haben. Und wir sind noch lange nicht fertig mit all den unterschiedlichen Sprachfamilien – also bleib dran!