So trug Sprache zum Aufstieg des Nationalsozialismus bei

Sprache und Narrativ spielten eine Schlüsselrolle dabei, die deutsche Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die unfassbaren Gräueltaten gerechtfertigt waren.
Jüdisches Denkmal zum Thema Sprache im Nationalsozialismus

Die wahrscheinlich bekannteste Katastrophe, die Europa in den letzten hundert Jahren zerrissen hat, ist das Dritte Reich – 12 Jahre, die eines der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte markieren. Es gibt unendlich viele Fragen zu dieser Ära. Doch eine, die die meisten Menschen, darunter Staatsoberhäupter, Forschende sowie Bürgerinnen und Bürger beschäftigt, ist: „Wie konnte es so weit kommen?“ Auch wenn das Thema bislang wenig Beachtung findet, so ist einer der Schlüssel zu dieser Tragödie, die Europa zwischen 1933 und 1945 heimsuchte, die Sprache. Die Reden von Hitler und seiner rechten Hand, Propagandaminister Goebbels, begeisterten und fesselten Millionen von Menschen. Weniger bekannt ist aber, dass auch die Alltagssprache eine enorm wichtige Rolle dabei spielte, die Bürgerinnen und Bürger im Nazi-Deutschland von den verheerenden Ideen zu überzeugen, die schließlich zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führen sollten. Aber was genau macht die Sprache des Nationalsozialismus aus?

(Triggerwarnung: Dieser Artikel behandelt antisemitische, diskriminierende und nationalsozialistische Sprache und kann verstörend wirken.)

Gleichschaltung: der Grundstein der Nazi-Sprache

Ehe wir ins Herz der deutschen Sprache, wie sie im Nationalsozialismus gebraucht wurde, vordringen, müssen wir zwei Dinge erklären.

Nach ihrem Sieg bei den demokratischen Wahlen im Jahr 1933 ergriff die Nazi-Partei NSDAP eine Reihe von Maßnahmen, um den Weg für den grausamen Plan des Führers und seiner Berater zu ebnen. Der Begriff Gleichschaltung bezieht sich auf das Vorgehen des Nazi-Regimes, die totale Herrschaft über das Individuum zu erlangen. Dazu gehörte, jede Art von Individualismus kollektiv zu eliminieren und die Meinungsfreiheit stark einzuschränken. Die totale Kontrolle über die Presse und das Bildungswesen war dabei zentral. Und eine ganz bestimmte Art der Sprache begann, sich wie ein Lauffeuer zu verbreiten. Im Laufe dieses Prozesses wurden ausländische und inländische Zeitungen, die noch nicht in die Hände der NSDAP gefallen waren, mit der berühmten Parole Lügenpresse diskreditiert. Gehörten die Zeitungen deutschen Juden oder Jüdinnen, die von Nazis kategorisch als marxistische Lügner:innen abgestempelt wurden, wurden sie als Judenpresse bezeichnet.

Die andere Sache, auf die wir vorab kurz eingehen möchten, ist die Art von Sprache, die sich zu verbreiten begann. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung haben Hitler und seine Partei kein neues Vokabular erfunden, sondern die Bedeutung von bereits existierenden Begriffen verfälscht. Dadurch konnten sie ein Gefühl der Nostalgie für eine ruhmreiche Vergangenheit beschwören, ohne die Bürger:innen durch unbekannte Begriffe zu verstören. Ein Teil der Nazi-Sprache stammte aus der Zeit Kaiser Wilhelms (1890–1918) und Bismarcks (1871–1890). Von ihnen wurden Begriffe und ganze Wortfamilien übernommen, die die Eckpfeiler des nationalsozialistischen Credos bildeten, wie z. B. arisch, Blut oder Volk.

Schlagwörter: die Schlüsselwörter der Nazi-Sprache

Der Sprachforscher Victor Klemperer, der sich mit der Sprache des Dritten Reiches befasst hat, stellte die These auf, dass es weniger die pathetischen Reden von Hitler und Goebbels waren, die ein ganzes Volk dazu brachten, in den Krieg zu ziehen und unfassbare Gräueltaten zu begehen, sondern vielmehr Schlagwörter wie eben Lügenpresse, die in die Alltagssprache eingingen. Sie waren für die überspitze Vereinfachung von Konzepten und die geradezu mechanische Wiederholung fundamental. Schauen wir uns die wichtigsten Schlagwörter einmal genauer an.

Krise

Es war das Konzept der Krise, das den Grundstein für den deutschen Nationalsozialismus und seine schnelle Akzeptanz in der Bevölkerung legte. Hitler und seine Partei gewannen 1933 die demokratischen Wahlen und malten ein katastrophales Szenario der Wirtschafts- und Identitätskrise, in dem allein die Nazi-Partei der Anker sein konnte, der Deutschland vor dem Sturm rettete. Eine Kampagne von 1929 beispielsweise zog mit der Parole Adolf Hitler zeigt euch den Weg! ins Feld. Das zeigt, wie der Parteiführer als Retter des Vaterlands dargestellt wurde. Auch das Heil Hitler, mit dem sich sogar Verwandte und Freunde täglich begrüßten, zeigt die Macht der messianischen Figur und die Rolle der Sprache, um in den Menschen eine angemessene Ehrfurcht für den Führer zu wecken.

Das Wort Krise findet sich in unzähligen Reden von Hitler und Goebbels, in Kombination mit Begriffen wie Gefahr oder Bedrohung. Das Gefühl einer drohenden Krise wurde zusätzlich durch Adverbien verstärkt, die auf die unmittelbare Notwendigkeit einer Lösung hinweisen, wie schnell, gründlich und unverzüglich.

Kampf und Totaler Krieg

Dieses Bild einer drohenden Gefahr wurde durch Kriegsmetaphern und -schlüsselwörter noch verstärkt. Die Alltagssprache wurde militarisiert, Verweise auf den Krieg wurden zum Dauerzustand. Schon in Hitlers berühmtem Buch Mein Kampf wird deutlich, welche Bedeutung Kampf und Krieg für den Führer hatten. Ursprünglich dienten die Kriegsmetaphern dazu, einen Konflikt zwischen einer deutschen Eigengruppe (Ingroup) und einer jüdischen Fremdgruppe (Outgroup) zu schaffen, der die deutsche Identität bedrohte. Aber dazu später mehr. Als Deutschland schließlich in den Krieg eintrat, verbreitete sich angesichts der immer höheren Anforderungen an die Bürgerinnen und Bürger bald die Schlüsselideologie des totalen Kriegs. Sie bezog die gesamte deutsche Bevölkerung ein – von den Soldaten an der Front bis zu den Müttern zu Hause, deren Aufgabe es war, ein deutsches Baby nach dem anderen zu gebären.

1943 hielt Goebbels seine berühmte Rede im Berliner Sportpalast, deren inoffizieller Name Wollt Ihr den totalen Krieg? lautet. Schnell verbreitet sich auch eine andere Parole in Deutschland: Alles für den Sieg! Sie bringt die Idee des totalen Kriegs, für den man Körper und Geist hingeben muss, beispielhaft auf den Punkt. Unter anderem verbreitete sich die Vorstellung, dass das deutsche Volk zum Sieg bestimmt sei – so wurde auch der Begriff des Schicksals sehr geläufig.

Das Volk und Großdeutschland

Wie schon erwähnt, war einer der Eckpfeiler der Nazi-Sprache der Begriff des Volks. Die ganze Bevölkerung begann, sich als Volksgemeinschaft zu feiern und an die Idee von der Überlegenheit der sogenannten Rasse zu glauben, die die Nazi-Partei verbreitete. Ein weiterer beliebter Spruch war Blut und Boden, der zwei der grundlegenden Lehren des Nationalsozialismus auf den Punkt brachte: Das Volk definierte sich über das Blut als die deutsche Rasse – und der deutsche Boden gehörte natürlich dazu. Zu den politischen Plänen des Nationalsozialismus gehörte es, alle deutschen Völker und das ihnen gehörende Land in einem großen, von Deutschland geführten Staat Großdeutschland zu vereinen, der die gesamte deutschsprachige Rasse Europas vereinen sollte.

Für diesen Plan stand das Motto Ein Volk, ein Reich, ein Führer – vielleicht der Inbegriff der Nazi-Sprache schlechthin, der 1938 zu einem überwältigenden Sieg der Volksabstimmung führte, die den Anschluss Österreichs besiegelte. Außerdem wollte Hitler gemäß der Lebensraumtheorie ein Großgermanisches Reich der Deutschen Nation schaffen, eine Gemeinschaft aller germanischen Völker einschließlich Ländern wie Norwegen und Polen. Diese Begriffe wurden zu einem Mantra in der Alltagssprache der Bürger:innen, die sich damit ihre eigene Überlegenheit einredeten.

Überfremdung

Und schließlich war einer der Grundpfeiler der Nazi-Sprache die Geschlossenheit gegen einen gemeinsamen Feind, die Jüdinnen und Juden, die laut der damaligen Ideologie die Reinheit des Volkes bedrohten und verunreinigten, was letztlich zu einer Überfremdung führen würde. So lautete auch eine der Parolen des Nationalsozialismus Die Juden sind unser Unglück. Juden und Jüdinnen wurden zum Sündenbock für Deutschlands Probleme, vom Versailler Vertrag bis zur Krise von 1929. Die Nazis bezeichneten sie als Untermenschen, vor allem aber als Parasiten.

Sie wurden als Fremdkörper dargestellt, der wie ein Parasit die Energie aus dem Gastland saugt, dessen Kultur vergiftet, die Wirtschaftsmacht an sich reißt und die deutschen Arbeiter:innen in die Sklaverei zwingt. Die Ausstellung Der ewige Jude in München und der gleichnamige Film verbreiteten antisemitische Bilder, die Jüdinnen und Juden als Ratten und Krankheitsüberträger darstellten. All das trug dazu bei, dass das deutsche Volk immer geschlossener wurde, überzeugt von seiner eigenen Überlegenheit und vereint in seinem Hass auf einen vermeintlichen Feind.

Es ist ein unglaublich trauriges und leider immer noch aktuelles Thema: In letzter Zeit wurden einige dieser Begriffe von rechtsextremen Parteien und Bewegungen wiederbelebt. Sprache wird oft unterschätzt, dabei kann sie ganze Bevölkerungsgruppen dazu bringen, unaussprechliche Taten zu akzeptieren. Deshalb ist und bleibt es ein fundamentaler Akt für uns alle, Sprache zu kennen und bewusst zu verwenden.

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