Früher oder später werden wir alle von der zunehmenden Automatisierung unserer Welt betroffen sein. Die Science-Fiction-Vorstellung von Robotern, die harte Arbeit für uns verrichten und uns so ein unbeschwertes Leben bescheren, war vielleicht eher eine Utopie. Doch Computer ersetzen tatsächlich schon heute bestimmte Arbeitnehmende, die nun nach einer neuen Einkommensquelle suchen müssen. Eine Zeit lang betrachteten sich Kunstschaffende als die Ausnahme von dieser Regel. Denn ein Roboter könnte niemals die Fresken der Sixtinischen Kapelle malen, und KI-Texte könnten niemals Shakespeare ersetzen. Doch entspricht das wirklich noch der Wahrheit? Der technologische Fortschritt stellt diese Annahme jedenfalls zunehmend in Frage.
Ob eine Maschine jemals „Kunst“ schaffen kann ist sicher eine philosophische Frage, aber die künstliche Intelligenz hat in letzter Zeit zweifellos viel Fortschritte beim Schreiben von Texten gemacht. Ein Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der maschinell erzeugten Texte zeigt neue, kuriose Möglichkeiten an der Schnittstelle von Kunst und Technologie. Selbst wenn Roboter menschliche Textschaffende nicht vollständig ersetzen werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Arbeitsweise von Autor:innen verändern wird.
KI-Texte: Eine kurze Geschichte der schreibenden KI
Zu Beginn stand bei Computern eher die Technik im Vordergrund. Als die Arbeit mit Computern noch bedeutete, dass man mit riesigen Maschinen umgehen musste und die Idee des „Programmierens“ noch relativ neu war, hatten nur wenige Menschen Zugang dazu. Wie eng Computer und Text miteinander verbunden sind, zeigt allerdings die Tatsache, dass, sobald die ersten kommerziellen Computer auf den Markt kamen, schon bald die ersten Texte damit erstellt wurden.
Einer dieser ersten kommerziellen Computer hieß Ferranti Mark 1. Im Jahr 1953 erzeugte ein Programmierer der Universität Manchester namens Christopher Strachey mit dieser Maschine die wahrscheinlich ersten mit Hilfe von KI generierten Texte aller Zeiten: Liebesbriefe. Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, waren die Briefe relativ simpel. Jeder Brief entsprach genau dem selben Muster: „Du bist mein [Adjektiv] [Substantiv]. Mein [Adjektiv] [Substantiv] [Adverb] [Verben] dein [Adjektiv] [Substantiv].“ Der Computer fügte dann anhand einer voreingestellten Vokabelliste Wörter in die eckigen Klammern ein. Die Maschine war zwar recht einfach, aber sie konnte theoretisch 300 Milliarden einzigartige Briefe erstellen. Nicht alle von ihnen ergaben viel Sinn, aber es war ein interessantes Experiment.
Anfang der 1960er Jahre war die Texterzeugung mit Maschinen alltäglich, wenn auch fehlerhaft. 1962 veröffentlichte CBS einen Fernsehspot mit dem Titel The Thinking Machine über eine Maschine namens SAGA II. Darin produzierte SAGA II Drehbücher, die CBS dann von Schauspielenden nachspielen ließ. SAGA II konnte nur regelbasiert schreiben, so dass der Output begrenzt war. Die Programmierenden mussten den Schauplatz und die Charaktere festlegen – in diesem Fall war es eine Geschichte aus dem Wilden Westen mit einem Räuber und einem Sheriff – und die Maschine sollte dann eine Geschichte aus einer Reihe von Möglichkeiten generieren. Wie eine Geschichte nach dem Prinzip „Choose your own adventure“. Auch wenn der TV-Spot heute vielleicht nicht sonderlich beeindruckend wirkt, so war es doch der erste, der jemals von einem Computer geschrieben wurde.
Der nächste große Fortschritt in der computergestützten Texterzeugung war ELIZA, ein Therapieprogramm, das 1966 von Joseph Weizenbaum am MIT entwickelt wurde. Es handelte sich im Wesentlichen um einen Chatbot, der den Menschen die Möglichkeit gab, mit ihm zu reden. Während der Computer der Universität Manchester nur auf eine vorab festgelegte Liste von Wörtern zurückgreifen konnte, war ELIZA in der Lage, Benutzereingaben entgegenzunehmen und Schlüsselwörter zu identifizieren. Eine Eingabe wie „Ich habe ein Problem mit meinem Vater“ könnte ELIZA dazu veranlassen, mit „Erzählen Sie mir mehr über Ihren Vater“ zu antworten und damit eine bestimmte Art der Gesprächstherapie nachzuahmen. ELIZA war einer der ersten Computer, die den Turing-Test durchliefen, mit dem geprüft werden sollte, ob ein Computer realistisch genug kommunizieren kann, um Menschen davon zu überzeugen, dass er auch ein Mensch ist. ELIZA hat den Turing-Test nicht bestanden – laut IT-Expert:innen hat bis heute noch kein Computer diesen Test bestanden –, aber viele Menschen fanden ihn trotzdem überzeugend. Einige würden ihn sogar weiterhin nutzen, um ihre Probleme zu besprechen, was beweist, dass selbst einfache Chatbots eine große Wirkung auf Menschen haben können.
Danach vergingen mehrere Jahre, in denen zwar faszinierende, aber nur stark eingeschränkte Text-Bots entwickelt wurden. Im Jahr 1976 ergab sich durch den Tale-Spin von James Meehan ein weiterer aufregender Fortschritt. Diese Maschine war in der Lage, aus von Menschen eingegebenen Variablen – Figuren, Schauplatz und „Ziel“ – komplexe Geschichten zu generieren (wenn auch mit gewissen Einschränkungen). Auch dieses Konzept lehnt sich an das „Choose your own adventure“-Prinzip, nur dass hier das Ändern einer Variable die gesamte Geschichte ändert. Das Ergebnis glich eher einem Kinderbuch als einem literarischen Roman, aber der Computer ebnete den Weg für unzählige Fortschritte im Bereich der geschichtenerzählenden KI.
Einer der wichtigsten Trends in der Texterstellung in den 1980er Jahren war der „Travestie-Generator“. Diese Generatoren verwendeten ein wahrscheinlichkeitsbasiertes Modell, die so genannte Markow-Kette. Dabei wird ein riesiger Datensatz analysiert, um vorauszusagen, welches Wort am wahrscheinlichsten auf das vorherige folgt. Es ist zum Beispiel wahrscheinlicher, dass auf „kalte“ das Wort „Füße“ folgt als „Sonne“.
Diese ersten Travestie-Generatoren spuckten größtenteils unsinnige Informationen aus und wurden oft verwendet, um sich über fachsprachliche oder schwer zu interpretierende Texte lustig zu machen. Die Markow-Kette wird jedoch auch heute noch verwendet. Wenn du eine SMS auf deinem Handy schreibst und es dir Optionen für die nächste Eingabe anbietet, ist das eine Markow-Kette, die mit Hilfe einer großen Anzahl von Wahrscheinlichkeiten versucht, den nächsten Begriff vorherzusagen. Würde man jedoch nur die vorgeschlagenen Wörter verwenden, kämen nur unsinnige Sätze dabei heraus.
Der GPT-3
Auf die Gefahr hin, die Geschichte zu sehr zu vereinfachen, springen wir von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart. Während in den letzten Jahrzehnten unzählige andere Textgeneratoren entwickelt wurden, wird die gesamte Diskussion im Moment von einem einzigen Gerät beherrscht: Dem Generative Pre-trained Transformer-3 von OpenAI, kurz GPT-3 genannt. Es ist eines der fortschrittlichsten Systeme überhaupt, und seine Ergebnisse sind sowohl beeindruckend als auch ein wenig beängstigend.
GPT-3 ist, wie der Name schon vermuten lässt, der dritte seiner Art und verwendet eine Art von künstlicher Intelligenz, die als Deep Learning bezeichnet wird. Wenn du schon einmal etwas über KI gelesen hast, dann wahrscheinlich über Deep Learning. Denn diese ist eine der vielversprechendsten Entwicklungen, um Maschinen wirklich „denken“ zu lassen. Das Konzept basiert auf der Nachbildung der neuronalen Netze des menschlichen Gehirns, was bedeutet, dass die Maschine aus riesigen Datensätzen schöpfen kann. Während die oben erwähnten Old West-Skripte von SAGA II aus nur Dutzenden von Parametern erzeugt wurden, verfügt GPT-3 über 175 Milliarden. Der Computer wurde auf der Grundlage eines umfangreichen Korpus trainiert: darunter das englischsprachige Wikipedia, Millionen von Büchern und noch vieles mehr.
GPT-3 ist daher mehr als alle anderen Computer vor ihm in der Lage, überzeugende menschliche Texte zu erzeugen. Im Jahr 2020 ließ die New York Times GPT-3 eine Reihe von Artikeln für Modern Love schreiben, eine Zeitungskolumne über Beziehungen und Gefühle. Die Ergebnisse sind eher durchwachsen. Der größte und offensichtlichste Fehler ist, dass er sich in der letzten Spalte in einer Schleife verfangen hat und immer wieder „dinner and drinks and dinner and drinks“ geschrieben hat. Doch mit nur ein paar Informationen hat er eine lesbare Geschichte ausgespuckt. Noch ist es nicht Shakespeare, aber vielleicht wird es das eines Tages sein.
GPT-3 ist nicht für die Allgemeinheit zugänglich, aber man kann ihn über Sudowrite ausprobieren. Die App wirbt damit, dass sie Schreibblockaden durchbrechen kann. Du beginnst, eine Geschichte zu schreiben, und Sudowrite verwendet GPT-3, um Vorschläge dafür zu machen, wie deine Geschichte weitergehen könnte. Das Programm kann auch dazu dienen, bereits Geschriebenes neu zu schreiben oder neue Ideen zu entwickeln.
Zurzeit wird GPT-3 für Hunderte von Apps genutzt. Allerdings ist der Computer immer noch eher ein Anfänger als ein erfahrener Romancier, wenn es darum geht, eigene Geschichten zu erfinden. Der Schreibstil, der dabei entsteht, ist manchmal unheimlich gut, aber zu oft merkt man beim Lesen eben noch, dass etwas nicht stimmt. Der Schreibstil ist jedoch gut genug, um eine Menge Gespräche anzustoßen. Soweit wir wissen, konnten menschliche Autor:innen durch dessen KI-Texte aber bisher nicht ersetzt werden.
Sind KI-Texte die Zukunft des Schreibens?
Seit der Einführung von GPT-3 gibt es viele Diskussionen über die Auswirkungen des Computers auf das menschliche Schreiben. Manche sagen, dass GPT-3 niemals menschliche Textschaffende ersetzen kann, weil er nicht wirklich etwas „Neues“ erschafft, sondern nur das neu arrangiert, was bereits geschrieben wurde (was man theoretisch aber auch über menschliche Autor:innen sagen könnte). Andere befürchten, dass die Automatisierung tatsächlich unzählige Textschaffende arbeitslos machen wird. Literarische Autor:innen mögen sich vielleicht am ehesten in Sicherheit wägen, aber Journalist:innen und Fachredakteur:innen könnten von dieser Entwicklung stark betroffen sein. Der Grund, warum OpenAI GPT-3 nicht für die Allgemeinheit freigegeben wurde, ist die Angst, dass Kriminelle ihn nutzen könnten, um große Mengen an Fake News zu erstellen.
Zwischen diesen beiden Extremen gibt es allerdings eine dritte Möglichkeit: die Koexistenz von menschlichen Autor:innen und KI. Eine der faszinierendsten Anwendungen von GPT-3 war der Text der Autorin Vauhini Vara für das Magazin Believer. In ihrem Essay „Ghosts“ verwendete sie GPT-3, um einen Aufsatz über ihre Schwester zu schreiben, die an einem Ewing-Sarkom starb, als sie noch jung war. Vara hatte es bisher vermieden, über dieses Thema zu schreiben, und sie wollte herausfinden, ob dieses neue Tool ihr helfen könnte, diese Gefühle zu konfrontieren. Am Ende verfasste sie nicht nur einen Essay, sondern neun verschiedene, in die sie jedes Mal weitere Details aus ihrem Leben einfügte, die ihr gerade einfielen. Schließlich hat sie so ein ganzes Buch fast komplett allein geschrieben.
Die ersten Versionen der KI-Texte waren noch sehr merkwürdig. Der Computer hat Details eingefügt, die mit der Realität nichts zu tun hatten. Je mehr Informationen sie jedoch hinzufügte, desto näher und näher kam GPT-3 der Realität. In einem Interview mit This American Life sprach Vara über diese seltsame Co-Autorenschaft und darüber, dass, obwohl sie ihre endgültige Version fast vollständig selbst geschrieben hat, GPT-3 trotzdem daran beteiligt war. Sie sagte: „Auch wenn es sich gut anfühlen würde, zu sagen: ‚Ja, mein Fazit ist, dass ich das ganz allein geschafft habe. Ich brauchte die KI überhaupt nicht.‘ ist die Realität ist viel komplizierter.“
Wenn wir optimistisch sein wollen, dann scheint es eher wahrscheinlich, dass KI in der Zukunft von menschlichen Textschaffenden als ein Tool für ihre Arbeit genutzt wird. Einer der Schöpfer von Sudowrite hat vorgeschlagen, dass die Arbeit von Schriftsteller:innen in der Zukunft eher der von Lektor:innen ähneln wird, die KI-Texte in Kunstwerke verwandeln. Das mag nicht für jeden ideal klingen, aber es ist eine Alternative zum Schwarz-Weiß-Denken à la „KI wird menschliche Textschaffende ersetzen“ oder „KI wird menschliche Textschaffende niemals ersetzen”.
Dennoch wird das nächste Jahrzehnt das menschliche Schreiben wahrscheinlich völlig verändern, was sowohl hilfreiche Lösungen als auch neue Probleme mit sich bringen wird. Auch wenn wir es bisher nur am Rande erwähnt haben, ist der Einsatz von KI zur Erzeugung von großen Mengen an falschen Informationen eine echte Bedrohung. Die computergestützte Texterstellung wird immer besser werden, wenn die Modelle mehr Daten aufnehmen und mehr Parameter festlegen können. Daher müssen wir uns die Frage stellen: Wie können wir all das nutzen, um die Welt zu verbessern?