Aus praktischen Gründen wird das Thema Frauensprache vor einem binären Hintergrund behandelt.
Die Rolle, die Frauen in der Entwicklung von natürlichen Sprachen gespielt haben, ist unbestritten. Aufgrund biologischer oder gesellschaftlicher Gegebenheiten waren es die Mütter, die ihren Kindern die eigene Sprache vermittelt haben (es heißt nicht umsonst „Muttersprache“) und ihnen so auch ein Gefühl für ihre Identität, die Zugehörigkeit zu einer Kultur sowie zu einer bestimmten geografischen und gesellschaftlichen Gemeinschaft weitergegeben haben. Es ist ebenso eine Tatsache, dass Sprache unsere gesellschaftlichen Vorurteile abbildet, wie beispielsweise auch Frauenfeindlichkeit.
Obwohl es vom Standpunkt der Sprachwissenschaft so etwas wie eine „Sprache der Frauen“ oder eine „natürliche Frauensprache“ nicht gibt, stellt sich doch die Frage: Was passiert, wenn keine der vorhandenen Sprachen ausreicht, um Empfindungen und Gefühle, die insbesondere Frauen betreffen, auszudrücken?
In diesem Artikel beleuchten wir genauer, wie Frauen versucht haben, dieses Problem zu lösen. Wir werden einige konstruierte Sprachen oder Kunstsprachen (du kennst Sprachen dieser Art bereits aus dem Fernsehen) genauer untersuchen, und zwar solche, die von Frauen für Frauen entwickelt wurden.
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Láadan: Die Frauensprache der Wahrnehmung und Erfahrung
Genau diese Frage stellte sich die Schriftstellerin Suzette Haden Elgin zu Beginn der 1980er Jahre. Ausgangspunkt war die feministische Hypothese, dass die vorhandenen menschlichen Sprachen ungenügend dafür seien, Sinneswahrnehmungen, die speziell Frauen haben, auszudrücken. Haden vermutete, dass, wenn Frauen eine geeignete Sprache hätten, mit der sie ihre Sicht auf die Welt ausdrücken könnten, dass diese sicher eine andere Wirklichkeit abbilden würde.
Grundlage dafür, dass sie eine Frauensprache entwickelte, war für Haden Elgin die Theorie des linguistischen Relativismus, zum Beispiel in einer kuriosen Interpretation des Gödelschen Unvollständigkeitssatzes – sehr typisch für die 80er Jahre – die besagt, dass es bestimmte Platten gibt, die ein Plattenspieler nicht abspielen darf, da diese ihn indirekt zerstören würden. Haden Elgin schloss daraus also, dass jede Sprache Sinneswahrnehmungen umfasst, die nicht ausgedrückt werden dürfen, weil sie zu ihrer indirekten Zerstörung führen würden. Die wichtigste Frage für sie war: Welche Folgen hätte es für eine Kultur, wenn Frauen eine Sprache hätten, die ihre Sinneswahrnehmungen ausdrückt, und diese benutzten? Würde sich diese Kultur selbst zerstören?
Auf dieser Grundlage entschloss sich Suzette Haden Elgin, in ihrer Trilogie Native tongue („Muttersprache“) Láadan zu entwickeln – ohne die Absicht zu haben, Frauen den Männern gleichzusetzen oder gar eine Überlegenheit zu beweisen. Láadan ist eine Sprache, die im 22. Jahrhundert von einer Gruppe Sprachwissenschaftlerinnen als Akt des Widerstands gegen ein Unterdrückungsregime, das im Jahr 1996 den Frauen das Wahlrecht entzog (ein ähnlicher Plot wie in Margaret Atwoods „Report der Magd“), entwickelt wird. Wie wir wissen, wird in vielen Sprachen – darunter zum Beispiel im Spanischen – die männliche Form als grammatikalische Standardform genutzt, was im Láadan genau umgekehrt ist – dort fungiert die weibliche Form als Standard.
In Láadan fließen keine Aspekte einer von Männern dominierten Generation ein und der Aspekt, auf den Haden Elgin das Hauptaugenmerk legte, ist der Wortschatz. Wie bereits erwähnt, bestand ihr vorrangiges Interesse darin, eine Reihe praktischer Konzepte zu entwickeln, die die Gefühle und Situationen beschreiben sollten, die ausschließlich mit dem „Frau sein“ zusammenhängen.
Einige Beispiele dafür sind:
Konzept | Láadan | Deutsch |
Schwangerschaft | Lawida | schwanger sein |
Lóda | schwanger und abgekämpft sein | |
Lalewida | schwanger und fröhlich sein | |
Lewidan | zum ersten Mal schwanger sein | |
Widazhad | bereits im letzten Drittel der Schwangerschaft sein und das Ende herbeisehnen | |
Wahrnehmung | Láad | etwas wahrnehmen |
Loláad | innerlich wahrnehmen | |
Schmerz | Heyi | |
Shol | die Abwesenheit von Schmerz | |
Alleine | Sholan | alleine sein |
Doólelasholan | nach einer ermüdenden Erfahrung oder der Begegnung mit anstrengenden Menschen endlich alleine sein | |
Búsholan | „im Kreis der eigenen Familie“ alleine sein | |
Sholalan | in einer Menschenmenge alleine sein | |
Elasholan | alleine sein und glücklich darüber sein | |
Héeyasholan | alleine sein und Angst haben | |
Óosholan | alleine sein und trauern |
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Nüshu: Die einzige Frauensprache der Welt, die durch Zufall entdeckt wurde
Nüshu (女书) ist ein vereinfachtes chinesisches Schriftsystem, zu dem Männer keinen Zugang hatten. Es wurde im Geheimen von den Frauen der Provinz Jiangyong in Hunan, China, von Generation zu Generation weitergegeben. Momentan wird Nüshu als eine der ältesten Sprachen der Welt angesehen und ist die einzig echte Frauensprache, die jemals entdeckt wurde. Professor Gong Zhebing entdeckte die Sprache 1982, als er vor Ort mit seinen Studierenden die Kultur und Bräuche der Gemeinschaft in Jiangyong untersuchte. Zu ihrer Überraschung stießen sie auf eine unbekannte Kalligraphie, die nur von Frauen benutzt wurde und von der Gemeinschaft als Nüshu („Schrift der Frauen“) bezeichnet wurde.
Mithilfe des Linguisten und Professors Yan Xuejiong gelang es den Forschenden, auf Fächern und Taschentüchern eingestickte Beispiele dieser Kalligraphie zu sammeln, so dass insgesamt 20.000 Wörter und mehr als 500 Schriftzeichen gesammelt werden konnten. Der Inhalt der Manuskripte auf Nüshu enthüllte geschichtliche, kulturelle, gesellschaftliche sowie das Nationalbewusstsein betreffende Aspekte – indem sie zwar auch Freude, doch vor allem den Schmerz der Unterdrückung und des Leids widerspiegelten, die in der Feudalgesellschaft der damaligen Zeit herrschten.
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Obwohl es sich um eine Geheimsprache handelt – die ausschließlich von Frauen geschrieben und gelesen wurde – hat diese Sprache der Frauen bis heute überlebt, wurde in Dokumentarfilmen und Büchern porträtiert und hat sogar den Guinness-Weltrekord für die geschlechtsspezifischste Sprache aufgestellt. Die letzte Frau, die diese Sprache noch beherrschte, war Yang Huanyi, die im Jahr 2004 in hohem Alter verstarb.
Obwohl es nur zwei Sprachen von Frauen für Frauen auf der Welt gibt, die uns bekannt sind, müssen diese nicht die letzten ihrer Art bleiben. Es gibt zig Kunstsprachen auf der Welt, und das nächste Esperanto (oder eher Esperanta?) könnte vielleicht sogar von dir entwickelt werden!