Es müssen nicht immer mediterrane Küsten, schneeweiße Sandstrände und Palmen sein – das wissen Anwohner und Urlauber im Norden Deutschlands. Die Nordsee besticht mit rauen Küsten und klarer Meeresluft, während die Ostsee sonniges Wetter und Badespaß pur verspricht. Aber die Meere sind nicht nur als Urlaubsziel, sondern auch linguistisch sehr interessant. Wer denkt, dass hier nur Platt geschnackt wird, liegt weit daneben. Hättest du zum Beispiel gewusst, dass das Land zwischen den Meeren, Schleswig-Holstein, innerhalb des deutschsprachigen Raumes in Europa die Region mit den meisten Sprachen ist? Wir nehmen die Sprachen der Ostsee und Nordsee unter die Lupe.
„Ick krackehl veel Platt in dat Mikrofon
Büst nich unt’n Norden is dat schwer to verstohn“
– Fettes Brot, Nordisch by Nature
Die Sprachenvielfalt der Nordsee
Die Nordsee ist ein Teil des Atlantischen Ozeans im nordwestlichen Europa. Allein, wenn man bedenkt, dass sie von Großbritannien, Norwegen, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Frankreich begrenzt wird, ergibt sich im Nordseeraum eine große Sprachenvielfalt.
Auf deutschem Raum wird an der Nordsee Niederdeutsch, speziell Schleswigisch, Holsteinisch, die Untere-Elbe-Mundart, Oldenburgisch, Ostfriesisch und Groninger Platt gesprochen.
Welche Sprachen werden um die Ostsee herum gesprochen?
Die Ostsee liegt als Binnenmeer zwischen Finnland, Schweden, Dänemark, Estland, Lettland, Litauen, Russland, Polen, und dem Norddeutschen Tiefland. Dementsprechend werden auch um sie herum viele Sprachen gesprochen.
Auf deutschem Gebiet hörst du an der Ostsee vor allem Schleswigisch, Holsteinisch und Mecklenburgisch-Vorpommersch.
Schleswig-Holstein – das Land zwischen Ost- und Nordsee
Adleraugen und jenen, die gute Geografiekenntnisse haben, wird bereits aufgefallen sein, dass Dialektsprechende aus Schleswig-Holstein sowohl an der Nord- als auch der Ostsee vertreten sind – es ist eben das Bundesland zwischen den Meeren. Aber die Region ist nicht nur aus diesem Grund eine sprachliche Kuriosität. Das zweitkleinste deutsche Flächenland liegt mit etwa 2,88 Millionen Menschen bei der Einwohnerzahl auf dem neunten Platz. Trotzdem ist es innerhalb des deutschsprachigen Raumes in Europa die Region mit den meisten Sprachen. Aber bevor wir uns anschauen, welche Sprachen das genau sind und welchen offiziellen Status sie haben, gibt es noch einen historisch interessanten Fakt zu erwähnen. Denn Aussiedler aus der kleinen Region sind für eine Sprache verantwortlich, die sich inzwischen auf Platz drei der meistgesprochenen Sprache der Welt befindet …
Von Niedersachsen, Angeln, Juten und Friesen
Die historisch angestammte Bevölkerung in Schleswig-Holstein ist nämlich hauptsächlich (nieder-)sächsischen, anglischen, jütischen und friesischen Ursprungs. Das sind genau die Bevölkerungsgruppen, die ab dem fünften Jahrhundert allmählich Großbritannien besiedelten, zunehmend beherrschten und ihre Sprache mitbrachten und verbreiteten. Die Bezeichnung Anglo-Saxon für weiße Briten und deren Nachkommen ist also kein Zufall und hat sich bis heute erhalten, auch wenn 1066 schließlich die Normannen das Land eroberten. Aus diesem Grund ist das Englische eine germanische Sprache mit vielen französischen Lehnwörtern.
Die geschichtliche Sprachenvielfalt Schleswig-Holsteins
Kommen wir nach diesem englischen Diskurs also wieder dazu, was auf dem deutschen Gebiet zwischen Nord- und Ostsee gesprochen wird und historisch gesprochen wurde. Bis zur Völkerwanderung war das nördliche Schleswig-Holstein von den Angeln besiedelt. Ab der Wikingerzeit siedelten sich neben den bereits erwähnten germanischen Stämmen (Sachsen, Juten und Friesen) auch die Dänen und die slawischen Stämme der Wagrier und Polaben an, die natürlich alle ihre Sprachen und Dialekte mitbrachten.
Während und nach dem zweiten Weltkrieg nahm die Bevölkerung von Schleswig-Holstein innerhalb von kurzer Zeit drastisch zu. Bezogen auf die Einwohnerzahl nahm das Land von allen westdeutschen Ländern die meisten Flüchtlinge und Vertriebenen auf. Diese stammten überwiegend aus Hinterpommern und Ostpreußen. Die Bevölkerung wuchs zwischen 1944 und 1949 um 1,1 Millionen Menschen.
Heutzutage hat Schleswig-Holstein unter den westdeutschen Ländern allerdings den niedrigsten Ausländeranteil. 1999 machten die etwa 140 000 Nicht-Deutschen 5,1 Prozent der Bevölkerung aus. Etwa drei Viertel der Zuwanderer kommen aus Europa. Die größte Gruppe aller Nicht-Deutschen stammte 2012 mit 30 000 Personen aus der Türkei, die zweitgrößte mit 15 400 aus Polen. Wie kommen wir also mit dem relativ geringen Ausländeranteil des Landes dazu, zu behaupten, dass Schleswig-Holstein eine besonders vielsprachige Region ist? Das hat mit dem offiziellen Status der vertretenen Sprachen zu tun.
Die offiziellen Sprachen Schleswig-Holsteins
Im Land zwischen Nord- und Ostsee ist laut § 82a I des Landesverwaltungsgesetzes Schleswig-Holstein von 1992 und 2016 „Deutsch“ Amtssprache. Ob damit nun Standarddeutsch oder das weit verbreitete Niederdeutsch gemeint ist, ist juristisch umstritten. Zudem lebt eine dänische, eine friesische und eine Minderheit der Sinti und Roma im nördlichsten Bundesland. Ihre Sprachen stehen unter dem Schutz der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen.
Über eine klarstellende Regelung des § 82 b Landesverwaltungsgesetzes Schleswig-Holstein wurden kürzlich auch ausdrücklich Niederdeutsch, Friesisch und Dänisch als Amtssprachen neben dem Hochdeutschen zugelassen.
Damit ergeben sich in Schleswig Holstein auf kleinem Raum fünf rechtlich anerkannte Sprachen: Standarddeutsch, Niederdeutsch (meist als Plattdeutsch oder kurz: Platt bezeichnet), Dänisch samt Südjütisch, Nordfriesisch und Romanes. Und die existieren nicht nur auf dem Papier nebeneinander: Stolze 90 Prozent der Bevölkerung Schleswig-Holsteins versteht neben Standarddeutsch zumindest eine der weiteren Sprachen, vor allem Niederdeutsch. Die Anzahl der Plattsprechenden in Schleswig-Holstein wird insgesamt auf 1,3 Millionen geschätzt, wovon rund 800 000 die Sprache gut bis sehr gut beherrschen. Ein passives Verständnis der Sprache haben etwa 2,5 Millionen Menschen des nördlichsten Bundeslandes.
Vielleicht hebst du gerade skeptisch eine Augenbraue. Es handelt sich beim Niederdeutschen doch lediglich um einen Dialekt und nicht um eine eigenständige Sprache, oder? Nun ja. Die Frage, was eine eigenständige Sprache oder einen Dialekt ausmacht, ist eher eine politische als eine sprachwissenschaftliche. Du kannst für dich selbst herausfinden, wie gut du Platt verstehst und wie weit es vom Standarddeutschen entfernt ist, indem du im plattdeutschen Wörterbuch des NDR stöberst.