Ein Familienporträt: Die austroasiatischen Sprachen

Die austroasiatische Sprachfamilie hat mehr als 100 Millionen Sprechende in neun verschiedenen Ländern. Zeit, sich diese Familie mal genauer anzusehen …
Straßen Vietnams zum Thema Austroasiatische Sprachen

Austroasiatische Sprachen (auch als Mon-Khmer-Sprachen bekannt) bilden eine der größten Sprachfamilien in Südostasien. Die Familie umfasst sage und schreibe 160 verschiedene Sprachen, die über eine große geografische Fläche verteilt gesprochen werden. Die bekannteste austroasiatische Sprache ist Vietnamesisch; sie hat die meisten Sprechenden und die größte Diaspora außerhalb von Südostasien.

Insgesamt sind die verschiedenen austroasiatischen Sprachen über neun verschiedene Länder verstreut. Diese sind: Vietnam, Kambodscha, Laos, Thailand, Malaysia, Birma, China, Bangladesch und Indien. Damit stehen sie in scharfem Kontrast zu den indoeuropäischen, den afroasiatischen und den sinotibetischen Sprachen, die geografisch viel klarer eingegrenzt sind.

Wie viele Menschen sprechen austroasiatische Sprachen?

Rund 117 Millionen Menschen sprechen eine austroasiatische Sprache. Über 70 % davon – genauer: 90 Millionen – sprechen Vietnamesisch. Außerdem lebt über die ganze Welt verteilt eine große Diaspora von Vietnamesisch-Sprechenden. Oft hört man die Sprache in Australien, den USA, Kanada, Frankreich und Deutschland. Kurioserweise ist Vietnamesisch in der Tschechischen Republik sogar als offizielle Minderheitensprache anerkannt. Damit haben die Sprechenden das Recht, Vietnamesisch in vielen offiziellen und behördlichen Zusammenhängen zu benutzen.

Die zweithäufigste austroasiatische Sprache ist die Landessprache von Kambodscha, Khmer, das von 16 Millionen Menschen in Kambodscha, Thailand und Vietnam gesprochen wird. Danach kommt Santali mit rund 7,5 Millionen Sprechenden in Bangladesch, Bhutan, Nepal und Indien. Es folgen Mon und Wa mit rund einer Million Sprechenden. Zwar gibt es über 100 weitere Sprachen in dieser vielfältigen Familie, aber die meisten von ihnen werden in ganz Südostasien von weniger als einer Million Menschen gesprochen.

Warum „austroasiatische“ Sprachen?

Interessante Frage! Der Begriff „austroasiatisch” stammt vom lateinischen Wort austro („Süden“) ab, das dem Adjektiv asiatisch vorangestellt wird. Diese Bezeichnung ist aber kolonialistisch – ein westliches Label also, das in akademischen Kreisen häufig verwendet wird. Präziser wäre es, die Sprachfamilie „Mon-Khmer“ zu nennen. Denn so würden die Einheimischen die Sprachfamilie nennen. Außerdem ist der Begriff respektvoller, wird aber seltener verwendet.

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Wie ähnlich sind sich austroasiatische Sprachen?

Schon allein wegen ihrer schieren Zahl gibt es auch relativ viele Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachen. Zunächst einmal gibt es viele verschiedene Arten, wie diese Sprachen geschrieben werden. Vietnamesisch benutzt zum Beispiel als einzige austroasiatische Sprache das lateinische Alphabet. Das ist allerdings eine relativ junge Entwicklung: Das lateinische Alphabet wurde im 20. Jahrhundert während der französischen Kolonialherrschaft eingeführt. Davor hatte Vietnamesisch ein modifiziertes chinesisches Zeichensystem – chữ Nôm. Andere austroasiatische Sprachen verwenden die unterschiedlichsten Schriftsysteme. Khmer, Thai, Lao und Birmanisch haben ihre jeweils eigenen Besonderheiten und Abwandlungen.

Doch trotz dieser Unterschiede lassen sich auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Sprachen feststellen: So haben die austroasiatischen Sprachen in der Regel ein großes „Vokalinventar“, was nichts anderes bedeutet, als dass sie viele verschiedene Vokallaute haben. In anderen asiatischen Sprachfamilien (wie Dravidisch, Sino-Tibetisch, Austronesisch und Altaisch) gibt es deutlich weniger Vokale. Die germanischen Sprachen wiederum haben meistens sehr viel mehr Vokallaute. Im Englischen gibt es zum Beispiel ganze 21 verschiedene Vokallaute. Es lässt sich zwar schwer sagen, wie viele es genau gibt, aber Vietnamesisch hat etwa 28 und Khmer beeindruckende 31!

Außerdem ähneln sich bestimmte Wörter in den austroasiatischen Sprachen. Sie haben denselben Ursprung, was aber nicht immer offensichtlich ist. Wir haben eine kleine Auswahl zusammengestellt – schauen wir sie uns doch mal genauer an. „Hand“ beispielsweise ist ដៃ (day) auf Khmer und tay auf Vietnamesisch. Das Wort „Wurzel“ ist ឫស (rɨh) auf Khmer and rễ auf Vietnamesisch. Und „Laus“ ist ចៃ (cay) auf Khmer und chấy auf Vietnamesisch. Siehst du, was wir meinen?

Wie bei den meisten verwandten Sprachen sind die Zahlen ein guter Anhaltspunkt. Auf Khmer ist „eins“ មួយ (muoy), auf Vietnamesisch một und auf Santali mit’. „Drei“ ist បី (bei) auf Khmer, ba auf Vietnamisch und pe auf Santali. „Vier“ ist បួន (buon) auf Khmer, bốn auf Vietnamesisch und pon auf Santali. Wir könnten noch ewig so weitermachen …

Sind die austroasiatischen Sprachen mit einer anderen Sprachfamilie verwandt?

Es gibt keine Belege dafür, dass austroasiatische Sprachen mit einer anderen asiatischen Sprachfamilie verwandt sind. Allerdings gab es in der Geschichte einen regen Austausch zwischen den Sprachen der Region, was häufig mit dem Austausch religiöser Ideen einhergeht. Khmer beispielsweise wurde vom 7. bis 9. Jahrhundert stark von Sanskrit und Pali (beides tote indoeuropäische Sprachen) beeinflusst, als sich der Buddhismus vom indischen Subkontinent ins heutige Kambodscha ausbreitete. Deshalb finden sich im Khmer viele Lehnwörter aus diesen mittlerweile ausgestorbenen Sprachen.

Welche austroasiatische Sprache könnte für dich interessant sein?

Vietnamesisch hat die meisten Sprechenden, die größte Diaspora sowie den größten kulturellen Output aller austroasiatischen Sprachen, was bedeutet, dass du leicht Ressourcen und Lernmaterialien findest. Allerdings ist Vietnamesisch eine tonale Sprache (der Ton ist für die Bedeutung also genauso wichtig wie Konsonanten und Vokale) und damit auch nicht ganz so einfach zu lernen.. Nicht-tonale Sprachen wie Mon oder Santali haben weniger Sprechende, sind aber vielleicht leichter zu lernen. Wie auch immer du dich entscheidest: Du leistest einen wertvollen Beitrag dazu, dass diese wunderbare Sprachfamilie auch weiterhin floriert.

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Sam Wood

Sam ist ein veganer Reiseblogger, freiberuflicher Autor, Social-Media-Manager, ehemaliger Englischlehrer, Linguist und gelegentlicher Gastdozent aus London, der jetzt in Berlin lebt. Ihn fasziniert die Phonetik der vielen Englischvarietäten aus der ganzen Welt, sowohl aus pädagogischer als auch aus historischer Sicht. Außerdem spricht er Deutsch, Spanisch und Französisch sowie ein paar Brocken Schwedisch, Mandarin, Arabisch und Japanisch. In seiner Freizeit schaut er gerne Star Trek, macht Yoga, backt leckere vegane Kuchen und tritt als Drag Queen auf.

Sam ist ein veganer Reiseblogger, freiberuflicher Autor, Social-Media-Manager, ehemaliger Englischlehrer, Linguist und gelegentlicher Gastdozent aus London, der jetzt in Berlin lebt. Ihn fasziniert die Phonetik der vielen Englischvarietäten aus der ganzen Welt, sowohl aus pädagogischer als auch aus historischer Sicht. Außerdem spricht er Deutsch, Spanisch und Französisch sowie ein paar Brocken Schwedisch, Mandarin, Arabisch und Japanisch. In seiner Freizeit schaut er gerne Star Trek, macht Yoga, backt leckere vegane Kuchen und tritt als Drag Queen auf.