Kulturgeschichte im Zeichen der Avocado

Nach zunächst noch eher unscheinbaren Anfängen im prähistorischen Zeitalter hat die Avocado längst eine prominente Rolle in der Kulturgeschichte eingenommen – und das nicht nur auf Toast.
Hand mit Avocado zum Thema „Woher kommen Avocados?"

Salz, schwarzer Pfeffer, Avocado: Seit gut zehn Jahren schreibt der nach seiner Hauptzutat benannte Avocado-Toast eine beeindruckende kulinarische Erfolgsgeschichte. Für manche steht das Gericht aber auch sinnbildlich für die Dekadenz vieler Millennials. Ob diese Entwicklung auch so zu beobachten gewesen wäre, wenn wir es begrifflich den Azteken gleichgetan hätten? Für die antike Hochkultur hatte das Lorbeergewächs offenbar eine so klare Formgebung, dass man es direkt nach einem männlichen Geschlechtsorgan benannte. Fakt ist: Die Avocado erfreut sich nicht nur als Quelle gesunder Fette großer Beliebtheit, sondern ist auch in kultureller Hinsicht äußerst symbolträchtig. Doch woher kommen Avocados? Den Weg von der einfachen Nutzpflanze zum globalen Gaumenschmaus bereitet haben ihr diverse Geschmäcker und Kulturen mit ganz unterschiedlichen Eigenheiten.

Vielen von ihnen gemein war jedoch, dass sie mit der Avocado Vielfalt und Reichhaltigkeit verbanden – starke bildhafte Vorstellungen weit über die Frucht selbst hinaus, schon weit bevor sie sich anschickte, die Speisekarten hipper Cafés von New York bis Tokio zu erobern. Ob als Toast oder als Burrito, in der Pasta oder im Salat, die leckere Baumfrucht sorgt auf vielfältige Weise für Begeisterung. In diesem Artikel zeigen wir dir, wie sie das geschafft hat.

Woher kommen Avocados? Die Avocado in der Frühgeschichte

Die Entdeckung der Avocado als solche ist geschichtlich nicht genauer belegt, die Bedingungen für ihren Anbau waren aber bereits 16.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung gegeben. Zu ihrem geografischen Ursprung gibt es verschiedene Theorien. Laut einer stammt sie ursprünglich aus Afrika und gelangte von dort schließlich nach Mittelamerika. Eine andere verortet ihre Herkunft im südlichen Zentralmexiko. Weiter verbreitet wurde die Avocado wohl über Mammuts. Nach dem Verzehr der Frucht legten die Tiere nicht selten große Strecken zurück und hinterließen die Kerne auf ihrem Weg über ihre Ausscheidungen.

Im größeren Stil wurde die Avocado dann in Mexiko und Mittelamerika angebaut, wo sie sich rasch zu einem festen Teil des Kulturguts der Caral, der Mokaya und Maya sowie anderer indigener Zivilisationen entwickelte. Mit ihrer Symbolkraft überzeugen konnte sie dabei offensichtlich von Anfang an. Im Kalender der Maya etwa wurde der 14. Monat mit dem Avocado-Schriftzeichen wiedergegeben. Ebenso fand sie sich in ihren Grabstätten und bei den Azteken in diversen Kunstmalereien wieder.

Die ältesten Belege für Anbau von Avocados stammen aus Peru und sind auf das Jahr 750 vor unserer Zeitrechnung datiert. 250 Jahre später hatten sie als ahuacatl Einzug in den Wortschatz der Azteken gefunden. In ihrer Sprache, dem Nahuatl, handelte es sich dabei um nichts anderes als den Begriff für Hoden. Zuzuschreiben war diese etwas eigenwillige Benennung wohl nicht nur der Tatsache, dass Avocados im Duo wachsen – in der aztekischen Kultur waren sie zudem als Aphrodisiakum, als kraftspendend und fruchtbarkeitsfördernd bekannt. Die Avocado diente nicht nur als wichtiges Nahrungsmittel für die indigenen Völker Mesoamerikas, auch mystische Kräfte wurden ihr nachgesagt.

Der Beginn einer weltweiten Erfolgsgeschichte

Im Verlauf der spanischen Kolonialherrschaft wurde aus ahuacatl schließlich aguacate, da dies einfacher auszusprechen war. Verbreitet war die Avocado zu diesem Zeitpunkt in ganz Mittelamerika sowie auch schon in Teilen Südamerikas. Mit den Spaniern sollte nun auch der Export nach Europa beginnen.

Die Benennung als Avocado findet 1696 erstmalig schriftliche Erwähnung. Mitunter kursierten auch die inzwischen veralteten Begriffe Butterfrucht und Alligatorbirne. Betrachtet man Farbe und Struktur der Schale, ergibt auch letztere, zunächst etwas skurril anmutende Bezeichnung durchaus Sinn.

Auch in Indonesien, Brasilien, im Nahen Osten, Südafrika und Australien fand die Avocado im Verlauf des 19. Jahrhunderts großen Anklang, ebenso im US-Bundesstaat Kalifornien. Dort kam es nun aus Marketing-taktischen Gründen zu einem wichtigen namentlichen Wendepunkt: Für die kalifornischen Farmer waren „Hoden“ und „Alligatorbirnen“ alles andere als ansprechend, um ihr neues Produkt zu bewerben, und so setzte sich rasch das freundlich-kompakte „Avocado“ durch. Die California Avocado Society, ein Interessenverband zur Vermarktung der Baumfrucht, sprach in ihren Anzeigen in Publikationen wie dem New Yorker und der Vogue gar von der „edelsten aller Salatfrüchte”. Hatte in indigenen Gesellschaften das Bild vom kraftspendenden Aphrodisiakum dominiert, festigte sich ungefähr zu diesem Zeitpunkt nun in der westlichen Welt das Image eines Luxus-Lebensmittels.

Zu einem weiteren Meilenstein in der Geschichte der Avocado kam es im Jahr 1926, erneut in Kalifornien. Protagonist war dabei Rudolph Hass, ein Hobbygärtner aus der Nähe von Los Angeles, der einige kurz zuvor erworbenen Setzlinge auf einem kleinen Stück Land anpflanzte. An einem der noch jungen Bäume wuchsen dabei plötzlich Früchte mit ganz eigenem Geschmack. Teils war dies auf Zufall, teils auf experimentelle Veredelung mit anderen Avocadopflanzen zurückzuführen. Insbesondere Hass‘ Kinder zeigten sich begeistert und so züchtete er schon bald weitere Bäume mit der neuen Sorte.

Auch äußerlich unterschied sie sich mit ihrer unebenen, schwärzlichen Schale von der eher glatten, grünen Oberfläche der als „Fuerte“ bekannten Standardvariante. Doch nicht nur das: Die auf den Familiennamen „Hass“ getaufte neue Avocado-Art war auch leichter zu züchten, hatte eine längere Erntezeit und liefert schon im zweiten oder dritten Anbaujahr eine attraktive Erntemenge. Auch längere Transportwege überstand sie dank ihrer dickeren Schale zudem leichter unbeschadet.

So war die Sorte Hass ein zentraler Entwicklungsschritt für die Avocado, der ihre globale Popularität entscheidend begünstigen sollte. Rudolph Hass ließ sich eine Kreation 1935 patentieren und in den späten 70er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde sie zur meist angepflanzten Variante in Kalifornien. Heute ist der Bundesstaat an der US-Westküste mit rund 90 Prozent der gesamten Erntemenge der landesweit größte Avocado-Produzent. Bei etwa 95 Prozent dieser handelt es sich um Früchte der Sorte Hass, weltweit trifft dies auf ungefähr 80 Prozent zu.

Toast, Latte und vieles mehr: Vielfalt und Facetten

Waren Avocados in den USA speziell in Kalifornien, Florida und Hawaii schon vor dem Ende des 20. Jahrhunderts beliebt gewesen, setzten sie ihren Siegeszug im Land nun an dieser Stelle ungebremst fort. Diese Entwicklung stellte schließlich die Weichen für die explosionsartige Begeisterung und den weiteren Aufstieg zum kulturellen Symbolbild in den darauffolgenden 20 Jahren. Laut Zahlen des Branchenverbands Hass Avocado Board vervierfachten sich die US-Absatzzahlen zwischen 2000 und 2015. Eine der Triebfedern war etwa die werbewirksame Präsentation von Guacamole als unverzichtbarem Snack-Dip zum Super Bowl durch Avocado-Bauern im Verlauf der 1990er Jahre.

Auch weitere Innovationen sollten nicht lange auf sich warten lassen. Mit ihrer cremigen Konsistenz waren Avocados schon bald nicht nur in Köstlichkeiten aus der mexikanischen Küche allseits beliebt. Auch Salate, Dressings, Smoothies, Desserts und Tiefkühlwaren wurden bald damit verfeinert und als vegane Alternative für Butter machen sie sich ebenso hervorragend. Wie geschaffen für Instagram war 2017 dann die Kreation eines Cafés aus dem australischen Melbourne: kunstvoll aufgeschäumter Latte serviert in einer Avocadoschale. Ein Schritt zu weit auf der Hipness-Skala? Oder einfach nur gelungene Satire? Zwar war das Ganze ursprünglich als solche gedacht, verkaufte sich aber offenbar letztlich mehr als ordentlich.

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So oder so hatte sich Avocadotoast zu diesem Zeitpunkt schon längst unaufhaltsam zu einem Siegeszug sondergleichen aufgeschwungen. Sicher nicht ganz unschuldig daran: Gwyneth Paltrow und ihr Rezeptbuch It’s All Good. Mit einer gehörigen Prise scharfen Humors versehen wurde das Gericht außerdem zum geflügelten Wort und Internet-Meme als Ursache von Finanzkrisen bei Millennials, die einem Hauskauf elementar im Wege stehen. Angestoßen wurde dies durch einen Kommentar von Millionär Tim Gurner in der Sendung 60 Minutes auf dem amerikanischen TV-Sender CBS, in dem dieser klare Kante zeigte: „Ich konnte mir mein erstes Haus damals schon leisten. Mein Geld floss ja auch nicht andauernd in zerstampfte Avocado für 19 Dollar und vier Kaffees zu je 4 Dollar.“

Verständlicherweise traf Gurners Meinung nicht allerorts auf Gegenliebe. Es lässt sich aber auch nicht von der Hand weisen, dass die Avocado inzwischen nicht nur ein Symbol für gewisse finanzielle Möglichkeiten und gesunde Ernährung ist, sondern auch für Dekadenz und Exzess. Die globale Avocado-Industrie weist ein derartiges Wachstum auf, dass sie in Mexiko die Existenz ganzer Wälder bedroht: So werden dort etwa wild wachsende Avocadopflanzen abgeholzt, um an ihrer Stelle Bäume der Hass-Variante anzusiedeln. Diese eignet sich zwar besser für die globale Lieferkette, doch der dabei entstehende Mangel an genetischer Vielfalt macht sie auch anfälliger für Schädlingsbefall und Krankheiten. Ein weiterer problematischer Faktor sind die enormen Mengen an Wasser, die Avocadobäume benötigen.

Eine somit wenig ideale Umweltbilanz in der aktuellen weltwirtschaftlichen Gemengelage. Im Gegensatz dazu weiß die Baumfrucht nicht zuletzt dank ihrer gesunden Fette ernährungstechnisch zu überzeugen. In ihrer langen Geschichte hat sie eine Vielzahl an Kulturen begeistert. Mit wenigen Ausnahmen gilt: Wer Avocados kennt, der isst sie auch.

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