Illustration von Elena Lombardi
Es war einmal eine Zeit, in der Supermärkte, jedenfalls so, wie wir sie heute kennen, nicht existierten. Die Leute gingen im kleinen Laden um die Ecke einkaufen. Dort lehnten sie sich – umgeben vom Geruch von Kräutern, Gewürzen und Minze – auf die polierte Holztheke und lasen von ihrer Einkaufsliste ab, während der Verkäufer, den ich mir gerne mit einem üppigen weißen Schnurrbart und einer Schürze vorstelle, zielsicher seine Hände durch die Regale wandern lies, die gewünschten Waren sicher in Einkaufstüten verpackte und dabei fachmännisch das Gespräch in eine angenehme Richtung lenkte.
Ach ja, die guten alten Tage…
Und jetzt unterbrich deine sentimentale Reise in die Vergangenheit und kehre zur Realität moderner Supermärkte zurück: Die aktuellen Charts laufen in der Dauerschleife; die Regale sind mit allen möglichen Produkten vollgestopft; grelle Farben, die nach Aufmerksamkeit schreien und schlecht für die Augen sind, leuchten dir aus jeder Ecke entgegen; Einkaufswägen; nervige Geräusche; die Leute laufen in Eile und Aggression hin und her; jemand drängelt sich in der Schlange vor…
Wenn dich das schon aggressiv macht, dann wird dich der folgende Artikel garantiert auf die Palme bringen. Wir haben nämlich unsere Freunde und Kollegen gefragt, wie sie sich so in den Supermärkten ihrer jeweiligen Länder verhalten und was ihre Landsleute beim Einkaufen am meisten irritiert. Daraus haben wir einen imaginären Supermarkt kreiert – in dem du wahrscheinlich lieber nicht einkaufen willst, denn die Atmosphäre ist nicht die beste (schließlich sind alle wütend).
Zuerst sind da die Italiener, die es nicht vertragen können, wenn jemand Obst und Gemüse ohne Plastikhandschuhe anfasst – wozu sind die Handschuhe denn bitte sonst da?!
Und dann gibt’s da noch den Fleischerstand, an dem ein Spanier langsam sauer wird, weil jemand vor dem Warten keine Nummer gezogen hat und anfängt, eine unordentliche Schlange zu formen – und der soll ja nicht so tun, als ob er einfach nur vergessen hätte, eine Wartenummer zu ziehen. Einfach unmöglich, solche Leute…
Die Nerven liegen also schon blank. Aber das Schlimmste kommt noch: die Kasse.
Das deutsche Mädchen wird schon ungeduldig, weil mehr als fünf Leute in der Schlange stehen und keine der Verkäuferinnen Anstalten macht, eine neue Kasse aufzumachen.
Vor dem deutschen Mädchen steht ein ernster Engländer, der eine betagte spanische señora dabei beobachtet, sich klammheimlich vorzudrängeln. Ein nervöses Zucken macht sich im linken Augenlid des Engländers bemerkbar – denn die Engländer sind schon beim bloßen Gedanken daran, dass ein Schlaumeier sich in eine Lücke quetschen könnte, schockiert – das ist einfach eine Frage der englischen queuing mentality. Die spanische Dame kann ihr Vorhaben am Ende doch durchsetzen und stellt sich als Zweite in der Reihe an – mit der Ausrede, dass sie alt ist. Natürlich wird niemand etwas sagen, denn das wäre einfach zu peinlich.
Wenn wir weiter in der Schlange schauen, sehen wir einen Brasilianer, der immer wütender wird: „Kann mir bitte jemand erklären, warum das hier eine Schnellkasse mit maximal zehn Produkten sein soll, wenn alle Leute ihren Großeinkauf durch die Kasse schieben?“ „Entspann dich!“, sagt die Italienerin hinter ihm. Doch auf einmal sieht sie aus dem Augenwinkel, wie jemand ihr in den Einkaufswagen lunscht – „will der etwa die Zutaten meines geheimen Familienrezepts, das über Generationen von meiner Urururgroßmutter vererbt wurde, ausspionieren? Sacrilegio!“
Der Beschuldigte lässt seinen Blick lieber schnell weiter zur Kasse Nummer 1 wandern. Dort bahnt sich im Inneren einer Schwedin gerade eine Krise an, als sie den Lebensmittelberg ihres Vorgängers beobachtet, der sämtliche Gesetze der Physik missachtet und bei dem Melonen auf Tomaten gestapelt werden – natürlich lässt die Schwedin sich ihren Ärger nicht anmerken. Wir wissen ja alle, wie Leute aus nördlichen Regionen so sind. Stattdessen zeigt sie demonstrativ, wie es in Schweden richtig gemacht wird: Die Produkte sollten in einer ordentlichen Schlange angeordnet werden, sodass sie alle genug Luft zum Atmen haben und die Kassiererin nicht ins Schwitzen kommt – es gibt keinen Grund, die übereinanderzustapeln…
… außer vielleicht, dass die nächste Person dann Platz für ihre Waren hätte. Weil die Schwedin noch mit dem Ordnen ihrer Waren beschäftigt ist, kann der nächste Mann in der Schlange, ein Deutscher, keins seiner Produkte auf das Föderband legen – der Warentrenner liegt schließlich noch nicht da. Diese Pflicht obliegt selbstverständlich dem Einkäufer in der vorherigen Warteposition, und bis der seine Pflicht erfüllt hat, wird der Deutsche weiterhin mit Eiern und Schinken jonglieren.
Beim Bezahlen stehen die Chancen gut, dass der Engländer von der Kassiererin als sweetheart oder love angesprochen wird und seinen Führerschein als Altersnachweis vorzeigen muss. Das kann sogar passieren, wenn der Einkäufer zehn Jahre älter als die Kassiererin ist.
Gedenken wir auch noch kurz der Französin, die gerade panisch ihre Waren in ihre Tüten schmeißt, weil der Kunde nach ihr schon bezahlt. Was ist nur aus den großen Kassen geworden, bei denen man genug Zeit hatte, in Ruhe und Frieden seine gekauften Waren zu verstauen…?
Und du? Hast du alles eingepackt? Ist noch alles dran? Dann nicke noch schnell Malcolm zu – einer fiktiven Figur, die von Comedian Lee Evans erfunden wurde und die alle untergeordneten Tätigkeiten in Ladenketten ausführt. Malcolm führt seine Arbeit typischerweise mit obsessiver Wiederholung aus, ohne den Sinn dahinter zu suchen – vielleicht, weil er inzwischen einfach aufgegeben hat; vielleicht, weil er das Yin zum Yang des Kunden ist, der Zenith des Zen. Hast du Malcolm zugenickt? Dann schnell raus hier! Beim Verlassen des globalen Supermarkts überrollt dich eine Welle der Erleichterung, denn zum Glück gibt es ihn ja gar nicht. Aber wenigstens weißt du jetzt über den Einkaufswahn in verschiedenen Ländern Bescheid und bist dementsprechend gewappnet.